Schweitzer Fachinformationen
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Ella löste den Klettverschluss des CTG-Gürtels, den sie um den Bauch von Doris Schmidt gespannt hatte. Doris, die sich ein Foto von ihrem ersten Baby auf den Beistelltisch gestellt hatte, lag auf dem Bett im Kreißsaal. Ein ungewöhnlicher Wunsch, aber Ella konnte verstehen, dass der Gedanke an die erste glückliche Geburt ihr Mut machte. Und etwas Mut, eine Geburt allein zu betreuen, brauchte auch Ella immer noch, wobei bisher jede Geburt gut verlaufen war, seit sie auf der Station als vollwertige Hebamme anerkannt wurde. Doris' Muttermund war fast vollständig geöffnet, und die Wehen dennoch erträglich. Aber Ella war angespannt.
»Alles in Ordnung?«, fragte Doris.
»Ja, das heißt, Ihr Sohn scheint Stress zu haben. Seine Herztöne sind auch in den Wehenpausen etwas abgefallen.«
In den Wehenpausen sollte sich auch das Kind entspannen, und solche Dezelerationen zweiten Grades konnten ein Grund sein, die Geburt zu beschleunigen.
Ob sie Dr. Kramer rufen sollte? Wobei der gerade im OP war, Sectio bei Querlage.
»Ach, das war bei dem Ersten genauso, und eine halbe Stunde später war er da!«, sagte Doris, bevor sie sich auf die nächste Wehe konzentrierte. Als die Wehe abgeebbt war, forderte Ella Doris auf, das Bett zu verlassen und etwas herumzulaufen. Die Schwerkraft würde ihren Zweck erfüllen.
Die letzte Geburt lag nur ein gutes Jahr zurück, weshalb der werdende Vater auch zu Hause bei dem großen Bruder in spe geblieben war. Es würde von selbst schnell gehen. Ein Vorteil, wenn die Babys rasch hintereinander kamen, beruhigte sich Ella. Vielleicht hatte eine heftige Wehe kurzzeitig die Sauerstoffzufuhr in der Gebärmutter gedrosselt. Und selbst eine um den Hals gewickelte Nabelschnur wurde selten lebensbedrohlich. Nein, Ella vertraute darauf, dass alles in Ordnung war, und kniete sich neben Doris, die mit den Presswehen instinktiv in die Hocke gegangen war. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis Ella das Köpfchen sah.
»Sie haben es bald geschafft!«
»Ich weiß!«, antwortete Doris, bevor sie aus Leibeskräften schrie. Im Gegensatz zu dem Baby, das schließlich in Ellas Hände glitt. Es hatte die Nabelschnur tatsächlich um den Hals gewickelt. Lose zwar, aber wer weiß, ob es unter der Geburt nicht doch die Luft abgeschnürt bekommen hatte.
Die Hautfarbe war leicht violett, was nicht ungewöhnlich war. Dennoch durchtrennte Ella hektisch die Nabelschnur. Die Schere fiel ihr auf den Boden. Sie ließ sie liegen und klopfte dem kleinen Jungen auf den Rücken. Mit dem ersten Schrei kehrte auch Farbe in sein Gesicht. Gott sei Dank war der APGAR-Wert nach fünf Minuten bei zehn!
Trotzdem musste sie einen Arzt dazurufen, der sich das Baby ansah, während sie die Mutter versorgte. Sie drückte den Pieper, bevor sie das Baby in Doris' Arme legte.
»Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem wunderschönen Baby!«
»Danke«, sagte Doris nur erschöpft, und doch war da sofort diese Verliebtheit in ihren Augen, als sie ihr Kind betrachtete. Ella hatte genau wie Doris Tränen in den Augen. Vor Glück, vor Erleichterung. Vor Liebe. Als sich die Tür öffnete, hatte sie schon ganz vergessen, dass sie nach dem Arzt gerufen hatte. Es war Dr. Hofert.
»Sie haben gerufen?«
Ella konnte nicht anders, als sich zu freuen, ihn zu sehen. Und das lag nicht nur daran, dass sie diesen Mann sehr anziehend fand, sondern auch, weil sie vor Stolz platzte, dass sie die Geburt so gut allein hinbekommen hatte und nicht in Panik verfallen war, weil die Situation doch brenzlig hätte werden können. Doris nickte dem Arzt nur kurz zu und streichelte das Köpfchen ihres Babys.
»Ja, Herr Dr. Hofert, aber es ist alles in bester Ordnung. Der Kleine hat mir nur einen kurzen Schreck eingejagt, weil er die Nabelschnur um den Hals und sich mit dem selbstständigen Atmen etwas Zeit gelassen hatte.«
Statt sie zu loben, griff der junge Arzt nach dem Zettel mit den APGAR-Werten, der auf dem Nachttischchen lag. Jede Geburt wurde penibel protokolliert, dazu gehörte auch der Zustand des Kindes. APGAR stand für Atmung, Puls, Grundtonus, Aussehen und Reflexe.
»Wie war der Verlauf? Gab es Unregelmäßigkeiten vorher?«
»Die Herztöne deuteten auf Stress hin, aber das war bei Frau Schmidts letzter Geburt auch so und ist tatsächlich nicht ungewöhnlich.«
»Stimmt etwas nicht?«, fragte die Mutter und hielt ihren Säugling fest im Arm. Sie hatte sich mit ihrem Kind auf das Bett gesetzt. Ella legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Es ist alles gut.«
»Das können Sie nicht wissen. Geben Sie mir das Kind«, forderte Dr. Hofert die Mutter auf.
Ella nahm es der Mutter vorsichtig aus dem Arm und überreichte es Dr. Hofert, der es auf dem Wickeltisch untersuchte. Doris Schmidt blieb erstaunlich ruhig, ließ ihr Baby aber keine Sekunde aus den Augen.
»Die Reaktionen scheinen alle in Ordnung. Glück gehabt. Herzlichen Glückwunsch, Frau Schmidt«, sagte er erst jetzt, als lohne es sich nur, bei einem gesunden Kind zu gratulieren.
»Ella, kümmern Sie sich um die Nachsorge, und danach kommen Sie in mein Sprechzimmer«, raunte er ihr immerhin so leise zu, dass die Mutter nicht hören konnte, dass Ella wohl gleich eine Strafpredigt bekommen würde.
»Ich hätte Sie für verantwortungsbewusster gehalten. Auch ein kurzer Sauerstoffmangel kann zu schweren Beeinträchtigungen führen.« Dr. Hofert saß hinter seinem Schreibtisch, als hätte er den Platz schon seit Jahren inne. Die unausgepackten Kisten und die leeren Wände, an denen noch Quadrate von den abgehängten Bildern zu sehen waren, die gegen den Rest der Wand blütenweiß waren, zeugten davon, dass er noch ein Neuling hier war. Der Ficus benjamina, den er wohl von seinem Vorgänger übernommen hatte, ließ die Blätter hängen.
»Herr Dr. Hofert, ich kann Ihnen versichern, dass ich die Lage im Griff hatte. Der Kristeller-Griff ist nicht ungefährlich, und für eine Sectio wäre es ohnehin viel zu spät gewesen. Und die Folgen wären für die Mutter viel schmerzhafter gewesen, und das ohne Grund.«
»Sie hatten die Lage nicht im Griff, sondern haben einfach nur Glück gehabt! Ja, vielleicht hätte die Mutter etwas Malässen mit den Folgen eines Kaiserschnittes gehabt, aber wenn das Kind durch einen Sauerstoffmangel schwer behindert bleibt, leiden beide. Und zwar das ganze Leben!«
Ellas Stolz und Freude über die gelungene Geburt schmolzen genauso dahin wie ihre Bewunderung für Dr. Hofert. Sein hübsches Gesicht wurde durch die Zornesfalten genauso entzaubert wie sein Wesen, das sie für feinfühliger gehalten hatte.
»Es tut mir leid, beim nächsten Mal hole ich Sie schneller«, antwortete sie und dachte daran, dass sie bald fort sein würde. Sobald ihr Plan wasserdicht war, würden sie alle drei kündigen. Aber was war, wenn er recht gehabt hatte? Wäre ein Eingreifen eines Arztes sicherer gewesen?
»Wissen Sie, Ella, ich habe an der Uniklinik einige Kinder mit Sauerstoffmangel behandelt. Bis kurz vor der Geburt waren sie gesund und danach schwere Pflegefälle.«
»Aber der Junge von Frau Schmidt hat sich schnell erholt.«
»Ja, zum Glück. Aber dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass sein Gehirn Schaden genommen hat. Vielleicht wirkt der kurze Mangel intelligenzmindernd. Vielleicht kommt es später zu Lernschwierigkeiten.«
Ella sackte in sich zusammen. Wäre sie schuld, wenn der Kleine später über seinen Matheaufgaben verzweifelte? »Sollten wir die Mutter auf diese Möglichkeit hinweisen?«
»Nein, es ist ja kaum eindeutig nachweisbar, wenn er in ein paar Jahren auffällig wird. Könnte genauso gut an dem einen oder anderen Gläschen Sekt der Mutter gelegen haben. Und ein vorauseilendes Schuldeingeständnis bringt uns nachher noch eine Klage ein.«
Ella glaubte nicht, dass Doris Schmidt sie verklagen würde. Sie hatte ihr vertraut, und es war alles gut gegangen. Dennoch begann der Zweifel an ihr zu nagen, ob sie nicht doch leichtsinnig gewesen war.
»Und jetzt wollen wir den Ärger vergessen«, auf einmal lächelte er sie wieder an. Doch Ella würde weder zurücklächeln noch die Angelegenheit vergessen.
Allein die Vorbereitungen rund um ihr geplantes Geburtshaus lenkten Susanne von ihrem Kummer ab, dass sie Julia nicht persönlich kennenlernen durfte. Und das Lesen, redete sie sich ein, als sie an der Buchhandlung in der Cranachstraße vorbeilief und das Geschäft betrat.
Das Glöckchen bimmelte, und Jeremy Irons brauchte langsam einen echten Klarnamen, damit es nicht lächerlich wurde. Er hieß kaum »Herr Bücherstube«, und Susanne vermied bisher immer die Anrede.
»Wie schön, Sie zu sehen! Ich hoffe, Sie kommen nicht, um mir zu sagen, dass Sie den Medicus wieder umtauschen wollen?«, lächelte er sie freundlich an. Lasen so wenige Leute Bücher, dass er sich merken konnte, welches Buch sie bei ihm gekauft hatte?
»Nein, es war wirklich ein außergewöhnliches Buch. Vielen Dank für die Empfehlung!«
»Und hat sich auch das Geburtstagskind darüber gefreut?«
Er sortierte nebenbei ein paar Bücher auf einem Tisch neu, die Kunden vorher wohl durcheinandergebracht hatten. Susanne sah sich um. Hier gab es wirklich nur Bücher zu kaufen, nicht so wie in den großen Buchhandlungen am Neumarkt oder auf der Schildergasse, die letztens eine kleine Ecke mit Spielzeug eingerichtet hatten.
»Die Feier ist ausgefallen.« Jedenfalls für mich, dachte Susanne und erschrak über ihre Offenheit, auch wenn sie noch weit von der ganzen Wahrheit...
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