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»Wie schon gesagt, das ist die Literatenhölle«, Dante hob in einem Ton an, in dem öffentliche Redner sprechen, wenn sie mit einem Filzstift irgendwas an die Tafel malen und sich für klüger halten als alle Zuhörer. »Es hat sich herausgestellt, dass es überhaupt keine Höllenkreise gibt und die Hölle weitaus weniger beängstigend ist, als ich gedacht hatte. Wie heißt es so schön: >Geh in den Himmel wegen des Klimas, zur Hölle wegen der Gesellschaft.< 10 Die einzige Unannehmlichkeit bei uns ist, dass in der Hölle jeder Schriftsteller gemäß seiner literarischen Sünden bestraft wird, das heißt, so wie er einst seine Leser gequält hat, so wird auch er selbst gequält werden .«
>Oh .<, war Pierres einziger Gedanke, denn aufgrund des hohen Sprechtempos Dantes konnte er gar keinen längeren Gedanken fassen.
. »Im Prinzip ist auch eine andere Art Strafe nicht ausgeschlossen«, Dante war ein wenig wie Einstein, er konnte seine Zunge genauso wenig im Zaum halten, »manche dürfen beim Schreiben nicht rauchen, andere - Balzac zum Beispiel - keinen Kaffee trinken. Wenn man ihn ließe, würde er daran sterben.«11
[. Solange Dante schwafelt, schlägt der Autor die Zeit tot und sagt euch, dass er weder jetzt noch in Zukunft die Erhabenheit der im Wind rauschenden und leise säuselnden Prärie, das Aussehen und die grundlegenden Charaktereigenschaften verschiedener eigenartiger Wesen - zum Beispiel des Regenbogenfischs -, die Kleidungsdetails der Personen, die Dekoration der antiken Möbel in ihren Zimmern oder die Weichheit des Flaums auf ihren Wangenknochen beschreiben wird. Deshalb trug Dante genau die Kleidung, die wir mit einem im Mittelalter lebenden Menschen assoziieren .]
. »Die Höchststrafe ist immer noch die Schaffenskrise«, fuhr Dante fort. »Dumas bekam sie gleich bei seiner Ankunft, und damit er nicht durchdreht, schreiben seitdem andere Leute seine Bücher .«12
Pierre befand sich in jener Phase der Verwirrung, in der man sich im Traum wähnt und keine Argumente dafür findet, sich von der Echtheit des Geschehens zu überzeugen. Nun, die Hölle war tatsächlich keine Hölle im wahrsten Sinne des Wortes. Da hätte man manche Viertel von Paris (wo Pierre leben wollte) und Cannes (wo Pierre lebte) noch eher Hölle nennen können als diesen Ort hier. Ein Ort, wo Leser die winzigen Gassen regelmäßig mit angesengten oder zerrissenen Buchseiten zupflasterten (»Manchmal taugt das Buch nichts und manchmal der Leser«, erklärte Dante) und hie und da heruntergerissene Wahlplakate herumlagen.13
»Dort ist der unangenehmste Ort der Hölle.« Dante zeigte umgefähr in Richtung Straßenecke. »Die Rue Morgue . Dort passieren Dinge, bei denen selbst Professor Dowell den Kopf verlieren würde .«
»Bekommen alle eine Strafe? Werde auch ich bestraft?« Pierre interessierte sich für Professor Dowells Schicksal genauso wie für die innenpolitische Lage der Seychellen.
»Selbstverständlich, schließlich ist das hier die Hölle. Mea culpa. Zum Urlaubmachen hättest du in deinem Cannes bleiben und an der azurblauen Küste des Mittelmeeres das Leben genießen können - wie eure Reisebüros so sagen. Schau mal, auch ich habe eines Tages meine Nase in die Höllenangelegenheiten gesteckt, nun diene ich allen Neuankömmlingen als Fremdenführer und erzähle ihnen immer ein und denselben auswendig gelernten Text. Zwar heißt es Repetitio est mater studiorum14, aber ich wiederhole dermaßen oft ein und dasselbe, dass ich mich schon für Poes Raben15 halte.«
»Ein gutes Gedicht«, warf Pierre ein, aus dem einfachen Grund, dass sich Dantes Rede nun schon über mehr als dreißig Zeilen hinzog und dies den Leser ermüden könnte.
»Außerdem wollen in letzter Zeit alle, die Skizzen über barfuß im strömenden Regen rennende Mädchen oder über die vernebelte, von Falten durchfurchte Stirn eines alten Mannes schreiben, Schriftsteller werden und ein Buch veröffentlichen. Dem guten Gutenberg würde die Galle hochkommen . Er druckte sich für immer ins Bewusstsein der Menschen und lässt dank seines großen Beitrags zur Literaturverbreitung im Erfinderparadies die Seele baumeln. Und ich muss wegen seiner dummen Erfindung pro Tag mindestens zehn Schriftsteller treffen und sie mit diesem Ort bekannt machen. Wenn es so weitergeht, haben wir bald mehr Schriftsteller als Leser.«
»Und wie werde ich bestraft?« Pierre fielen seine eigenen vier Bücher und zwölf Leser ein.
»Das entscheidet Mephistos höllische Kommission, aber, wie schon gesagt, bei uns werden die Schriftsteller hauptsächlich für die Klischees gequält, mit denen sie zu Lebzeiten ihre Leser gequält haben. Irgendwie Divide et impera . oder so.
Nun, in einem fensterlosen dunklen Raum sind beispielsweise jene Schriftsteller eingesperrt, die in dieser oder jener Phrase die große Illusion einer Allusion schufen, aber in Wirklichkeit symbolisierten ihre Entwürfe absolut nichts. Wie kann das gehen? Du schreibst etwas, dann sitzt der arme Forscher und zerbricht sich den Kopf darüber, ob die >im Tal entfaltete Lilie< eine Anspielung auf das Matthäusevangelium ist oder ob einfach nur des Schriftstellers Vorliebe für Botanik zutage trat.«
»Und was machen sie in dem dunklen Zimmer?«
»Sie suchen die Grinsekatze. Aber soll ich dir was verraten?« Dante blinzelte teuflisch und grinste breit. »In Wirklichkeit ist sie überhaupt nicht dort.«16
Hätte er die ihm zustehende Strafe gekannt, hätte Pierre vielleicht auch gegrinst, aber ihm fielen seine geistreichen Metaphern ein, und dem Wunsch zu lächeln war der Weg in die Mundwinkel versperrt.
»Dort ist Sherwood Forest . Dort hausen die Plagiatoren unter den Schriftstellern, aber du musst keine Angst haben. Die rauben hauptsächlich Klassiker aus. Sie stehlen goldene Metaphern, glänzende Vergleiche und wertvolle Romansujets, da ihnen die Strafe auferlegt wurde, den literarischen Reichtum unter den spät berufenen und schwachen Schriftstellern zu verteilen.«
»Meinst du die da?« Pierre wies auf die Leute, die Richtung Sherwood Forest liefen.
»Nein, das sind die selbstzerstörerischen Schriftsteller. Sie müssen so lange arbeiten, bis sie so viele Bäume im Wald aufgezogen haben, wie durch den Druck ihrer sinnlosen Bücher gefällt worden sind.«
Hier fiel Pierre nun die Dicke seiner eigenen Romane ein, und er erschauerte.
»Die tun mir besonders leid.« Dante wies auf eine Menschengruppe am Straßenrand. »Hier sitzen diejenigen Schriftsteller, die Dialoge nicht schätzen und den Leser Dutzende Seiten lang auf Anführungsstriche warten lassen.«
»Dialoge sind wirklich notwendig«, stimmte Pierre zu, um am Dialog teilzunehmen. »Und warten sie jetzt auf jemanden?«
»Ja«, sagte Dante teuflisch grinsend, »auf Godot.«
* * *
»Ein echtes >Happy End< gibt es nicht - es kommt lediglich darauf an, den Punkt im richtigen Moment zu setzen.«
Pierre Sonnage, »Ein Leben wie ein Film«, 2010
Lucy hatte ein fotografisches Hobby: Sobald sie eine reflektierende Oberfläche sah, machte sie ein Selfie, überall. In ihrem Tee, im Autorückspiegel, im Auge ihrer Freundin, im Duschkopf, mit ihrem iPhone im iPhone eines anderen, in den konzentrischen Kreisen, die bei Regen in Pfützen entstehen, sowie an tausend anderen Orten. Jedenfalls benutzte sie das Bad öfter zum Fotografieren als zum Duschen und glaubte, die Kunst des Fotografierens läge nicht im Finger des Fotografen, sondern im Auge des Betrachters.
Lucy war ein Sturster.17 Sie achtete immer darauf, dass zwischen ihr und der Masse ein unüberwindlicher Limes bestand, obwohl Lucy im alltäglichen Gespräch »Limes« und andere archaische Worte nie gebrauchte. Im Gegenteil: Sie benutzte dermaßen moderne Termini, dass sie die Bedeutung jener Wörter manchmal selbst nicht wusste. Tagsüber lief sie immer mit einer großen, bunt gerahmten Brille herum, nachts jedoch, wenn sie gleichzeitig Brille und Sturstermaske abnahm, wurde sie zum Durchschnittsmädchen - mit den üblichen nächtlichen Gefühlen (die einem bei Tagesanbruch lächerlich vorkommen) und für einen Sturster unüblichen Gedanken (zum Beispiel, dass »die Zukunft die zukünftige Vergangenheit« und »die Vergangenheit die vergangene Zukunft« sei). Ihr Aussehen war schön zu nennen. Nicht auf die Art schön, dass ihre Freundinnen, wie heutzutage üblich, voller gespielter Bewunderung ihr Profilbild entsprechend kommentieren würden. Sondern eine echte Schönheit. Mit langem braunem Haar und großen grünen Augen. Sie mochte es, vorm leise gestellten Fernseher zu schreiben und mit Freundinnen Filme zu schauen, die sie schon drei-, viermal gesehen hatte - weil sie über deren Reaktionen auf ihre Lieblingsszenen staunen konnte.
Lucy war in einem Alter, wo Mädchen eher ihr Tagebuch verstecken als ihr Alter. Sie wollte jedoch nicht eine französische Anne Frank sein, außerdem erschien ihr das Format Tagebuch - »ein brontosaurisches Überbleibsel aus der Epoche der Brontës« - im einundzwanzigsten Jahrhundert ein bisschen angestaubt. Zu diesem Jahrhundert passte eher ein Blog. Ein Online-Tagebuch, in dem man über alles schreiben konnte, ohne das Sturster-Image oder die Anonymität zu verlieren: »Ich liebe den Herbst....
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