Schweitzer Fachinformationen
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Eine gemeinsame, energetische Balancesituation zu erreichen, macht die Reitkunst zu einer sehr schönen, aber auch sehr schweren Aufgabe, die nie ganz vollendet werden kann, sodass ein oder mehrere Menschenleben nicht ausreichen, um sie perfekt zu beherrschen. Künste und Wissenschaften erlernen wir im Übrigen auch nicht während des Schlafens und auch nicht durch Bequemlichkeit. Zwar bringen einige Schüler eine überdurchschnittliche Begabung mit. Das Talent allein reicht aber nicht aus, um gut reiten zu lernen. Manch ein Talentierter wird in der reiterlichen Ausbildung von einem "Normalo" überholt - und das ist nicht so selten. Erlernen kann man viele besondere Fähigkeiten. Nur der eigene Fleiß der Arbeit und die Mühen der ständigen Übungen und deren Wiederholungen bringen uns zur Harmonie, die zwei gegensätzlichen Nervensysteme so unterschiedlicher Lebewesen wie Pferd und Mensch zu einem erfolgreichen Großen und Ganzen zusammenzuführen.
Mein Lehrer Egon von Neindorff sah den klassischen Weg, der sich über Jahrhunderte erfolgreich als systematischer und gesund erhaltender Ausbildungsweg für das Pferd erwiesen hat, als den einzig richtigen und bezeichnete ihn als die Sache. Da dies auch für mich zu 100 Prozent Gültigkeit hat, werde ich diesen Begriff der "Sache" im Text öfter benutzen.
Bis zu einem gewissen Grad, zum Beispiel bis zum Thema Anlehnung in der Ausbildungsskala, sollte dieses harmonische Große und Ganze jeder erreichen können. Um es zu erlangen, müssen wir eine lange Durststrecke zurücklegen und unser Bestes geben. Ein echter, engagierter Reiter kann das! Doch viele "moderne" Reiter wollen diesen anstrengenden Weg nicht gehen. Ersatzweise treffen wir dann aber auf geschwätzige Kommentare, gepaart mit modischen Reitaccessoires, die zeigen sollen, wie bedeutsam jene Reiter sind, und den Glanz ihres eitlen, aber reiterlich unbeleckten Auftretens unterstreichen sollen.
Aber ist es nicht doch in der täglichen Arbeitswelt, der Wirtschaft oder in der Wissenschaft so, dass die dort engagierten Menschen acht bis zehn Jahre, ja ihr Leben lang einem Lernprozess unterzogen sind? Und in den Künsten reicht ebenso eine Lebenszeit nicht aus, um annähernd vollkommen zu werden.
"Wir braucken jetzt eine Art Renaissance der Reitkultur.
Nun ist das Reiten eine der schwersten Künste überhaupt. Hier kommen nämlich zwei Persönlichkeiten zusammen. Trotzdem gibt es unzählig viele vermeintliche Fachleute des Reitens, die sich in allerkürzester Zeit so viel Wissen angeeignet haben wollen, wie ein vollkommener Reiter in seinem ganzen Leben generell erfahren kann. Schnell werden dann auch noch teuerste Pferde gekauft, die den erwarteten Erfolg gewährleisten sollen, ganz gleich, wie sie geritten werden. Würde das tatsächlich so funktionieren, dann könnten sich alle reichen Menschen reiterliche Qualitäten kaufen. Aber sie betrügen sich nur selbst, denn die Reitkunst und der richtige Umgang mit dem Pferd sind alles andere, aber nicht leicht!
Aktuell richten sich die Blicke auf die Vorhand, insbesondere auf Hals und Kopfposition des Pferdes, den Rest des Tieres übersehen wir sozusagen. Meiner Meinung nach kommt das daher, dass wir uns heutzutage von einer ungefilterten Flut von Bildern und Filmen verleiten lassen und diese als richtig annehmen, ohne mit der nötigen Sorgfalt Abläufe und deren Zusammenhänge genauer zu hinterfragen. Würden wir Bilder sowie Bewegungen mit mehr Wissen und genauer betrachten, dann kämen wir zu einem viel differenzierteren Ergebnis. Der geeignetste Ansatz, Dargebotenes besser bewerten zu können, wäre, das Pferd im Hinblick auf Balance und Harmonie zu beurteilen.
Bei der Balance geht es physikalisch darum, Fliehkräfte wie die Zentrifugalkraft (von innen nach außen wirkend) und ihre Zentripedalkraft (gegenläufig, also der Zentrifugalkraft entgegengesetzt von außen nach innen wirkend) unter Berücksichtigung der Erdanziehung ins Gleichgewicht zu bekommen. Erst wenn diese gegenläufigen Kräfte sich ausgleichen, sind sie im Gleichgewicht. Ist das der Fall, dann bringt uns die Normalkraft (senkrecht zur Gravitation), die sich auf den Schwerpunkt jedes Körpers bezieht, tief in den Sattel und damit in die Bewegung des Pferdes.
Christoph Ackermann auf seinem Erfolgspferd Champus, wunderbar gezeichnet von Renate Blank. Das reiterliche Haupterfordernis: unsere Pferde in allen Gängen und Touren in die richtige Balance zu bringen und darin zu erhalten.
Physikalisch gesehen befindet sich jeder Körper zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer bestimmten Lage. Jeder Körper hat somit genau einen Schwerpunkt. Diese Lage kann verändert werden. In welchem Gleichgewicht sich ein Körper befindet, hängt von der Lage des Schwerpunkts ab. Befindet sich ein Körper in Bewegung, so liefert er eine ständige Veränderung (räumlich, zeitlich) seines Schwerpunkts in Reihe ab, sodass wir dann von einer Schwerpunktlinie sprechen müssen. Die passende Gleichgewichtslage beim Pferd ist die Voraussetzung, dass es uns die Energie und den Antrieb liefern kann, die feines Reiten für uns erst ermöglichen. Beim Reiten haben wir es aber gleich mit zwei Körpern zu tun.
Mit dem Titel dieses Buchs schließe ich mich ganz bewusst der berechtigten Kritik Louis Seegers an, einem der großen und bedeutenden Reitmeister im 19. Jahrhundert. In seiner Schrift Herr Baucher und seine Künste (1852) mit dem Untertitel Ein ernstes Wort an Deutschlands Reiter prangert er Reitweisen an, die nicht pferdekonform sind und dem Ansehen aller ehrlichen Reiterei schweren Schaden zufügen.
Louis Seeger erklärt in seinen Büchern System der Reitkunst und Herr Baucher und seine Künste, welche große Rolle die Gleichgewichtssituationen im Pferd spielen. Er beschreibt darin die horizontale Balance im Detail und weshalb sie die Schlüsselposition im System der Reitkunst einnimmt. Sein Schüler ist Gustav Steinbrecht, dessen Wissen die Reitvorschriften in Deutschland geprägt hat. So beeinflusste er auch indirekt die heutigen Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (Fédération Équestre Nationale, FN). Der zweite Band dieser Richtlinien benennt Louis Seeger als gottbegnadeten Ausbilder und hebt einen Ausspruch von ihm hervor, der Ewigkeitswert beansprucht: "Vergesst nie, dass die Fortbewegung die Seele der Reitkunst ist und der Impuls dazu von der Hinterhand ausgeht." Denn die Hinterhand ist der entscheidende Ausgangspunkt, um die Balance im Pferd zu trainieren.
Ernst Friedrich Seidler betont 1837 in seinem Buch Leitfaden zur systematischen Bearbeitung des Campagne- und Gebrauchspferdes, mit dem Untertitel: mit besonderer Berücksichtigung junger Pferde, deren Körper noch nicht kräftig ausgebildet ist, die Arbeit an der Balance als erste Pflicht des Reiters. Er warnt vor den bereits damals bestehenden Trends, die uns weismachen wollen, Reiten sei leicht und mühelos zu lernen. Er beginnt seine Ausführungen damit, wie junge Pferde unter Wiedererlangung ihrer natürlichen Balance angeritten werden. Immer wieder wird in seinem Buch das Thema Gleichgewicht als fundamentales Wissen vorausgesetzt und unterstrichen.
Noch früher, um 1800, hat Ludwig Hünersdorf in seinem Buch Anleitung zu der natürlichsten und leichtesten Art, Pferde abzurichten bereits beschrieben, wie unvernünftig Pferde entkräftet und aus dem Gleichgewicht geworfen wurden. Der daraus entstehende Schaden für das Pferd war groß. Wichtiges Prinzip für ihn war, dass ein gut gerittenes Pferd die Anlehnung sucht und darüber ins Gleichgewicht gebracht wird.
Für Gustav Steinbrecht gilt am Ende des 19. Jahrhunderts: "Der Bereiter hat seine Aufgabe erfüllt und sein Pferd vollkommen ausgebildet, wenn er die beiden in der Hinterhand ruhenden Kräfte, die Schieb- und Tragkraft, letztere in Verbindung mit der Federkraft, zur höchsten Entfaltung gebracht hat und in ihren Wirkungen wie in ihrem Verhältnis zueinander beliebig und genau abzuwägen vermag."
Das gesamte System der Reitkunst basiert demnach auf zwei Grundpfeilern: Gleichgewicht und in der Folge Biegsamkeit, die Voraussetzung für alle Lektionen und Regeln sein sollten. Denn das Aktive, die Beweglichkeit und Leichtigkeit kommen aus der Balance, und aus der geschmeidigen Biegsamkeit lassen sich Geschicklichkeit und Gehorsam entwickeln.
In den Richtlinien (Band 2 von 1990) bestehen die Autoren darauf, dass folgender klassisch formulierter Satz von François Robichon de La Guérinière bis heute volle Gültigkeit hat: "Der Zweck der Ausbildung eines Pferdes ist, es durch systematische Arbeit ruhig, gewandt und gehorsam zu machen, damit es angenehm in seinen Bewegungen und bequem für den Reiter wird."
Ferner wird dort ausgeführt, dass man sich...
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