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Dem Blinden fällt die Beschreibung eines Elefanten leicht. Und wie einer der sechs Blinden der Fabel spricht er entweder von einem gewaltigen Baumstamm oder einem riesigen Fächer, von einem dicken Seil oder Ähnlichem mehr. Doch wer sehen kann, dem bereitet die Beschreibung nicht etwa weniger Schwierigkeiten, sondern im Gegenteil mehr.
Was soll man da erst zu einem so unerschöp?ichen Phänomen wie Azikiwe sagen? Am besten einfach alles über den Teil, den man kennt, ohne vorzugeben, es sei die ganze Geschichte.
Diesen eigenen Rat will ich beherzigen und mich einem sehr kleinen Abschnitt der Azikiwe-Geschichte widmen. Doch wie Sie sehen, tue ich mich schon mit der Wahl zwischen zwei Titeln schwer, während sich gleich dahinter andere aufdrängen - »Dr. Nnamdi Azikiwe: Zik von Afrika« etwa, der erste Präsident Nigerias.
Ich entsinne mich in allen Einzelheiten an den Tag, da ich den Namen Azikiwe zum ersten Mal gedruckt sah und begriff, dass ich ihn bisher falsch verstanden hatte. Ich muss sechs oder sieben gewesen sein. Ich war zu Freunden gegangen, Kindern eines benachbarten Missionslehrers, die nur drei Häuser weiter wohnten. Anders als mein Vater, dessen aktive Zeit als Verkünder der Botschaft vorbei war und der nun mit seiner üppigen Pension von einem Pfund und zehn Shilling in unserem Dorf gut leben konnte, zog unser Nachbar noch als Missionar durchs Land und kehrte nur hin und wieder nach Ogidi zurück. Er wohnte, wie wir auch, ganz modern in seinen eigenen vier Lehmwänden mit Wellblechdach.
Als ich den Vorraum betrat, eine Art Veranda beziehungsweise die »Piazza« der landestypischen Missionsarchitektur, fühlte ich mich sogleich zu einem neuen Wandkalender hingezogen. Auf Wandschmuck und Plakate war ich damals so neugierig wie mein Vater gewissenhaft in der Erneuerung der unseren zu Weihnachten. Solchen Anschlägen verdanke ich einen großen Teil meiner Bildung.
Doch der Kalender, den ich an der Wand der Nachbarn entdeckte, unterschied sich von allem, was ich von zu Hause her kannte. Unsere stammten nämlich von der Church Mission Society und beschränkten sich auf Abbildungen von Bischöfen und Kathedralen. Der Nachbarkalender aber vertrat, wenn ich mich nicht irre, die Sache irgendeines Förderprogramms, einer gewissen ONITSHA IMPROVEMENT UNION.
Ein Gruppenfoto zeigte in der vordersten Reihe Nnamdi Azikiwe im weißen Anzug. Azikiwe war in ganz Westafrika von allen Freiheitskämpfern und Opponenten der Kolonialherrschaft der beliebteste. Wieder und wieder entzifferte ich voll stillen Staunens den Namen - »Azikiwe«. Ich hatte ihn noch nie gelesen, immer nur gehört. Unzählige Male gehört und so oft beschworen, dass ich mir eingebildet hatte, damit vertraut zu sein und ihn zu kennen. Doch nun, schwarz auf weiß, war er mir vollkommen neu.
Sie müssen nämlich wissen, dass ich ihn bis dahin als zwei Namen aufgefasst hatte: Aziki Iwe, zusammengesetzt aus dem fremdländischen, christlichen Vornamen Isaak und dem Igbo-Nachnamen Iwe. Ein Freund meines Vaters, auch pensionierter Katechet, hieß Isaac Okoye, also hatte ich »Azikiwe« ähnlich gedeutet - bis zu diesem Tag der Erleuchtung vor der Wand meines Nachbarn. Ich stürzte nun keineswegs los, um alle meine Freunde über meine Unwissenheit aufzuklären. Ich nahm die neue Einsicht - äußerlich - mit Gleichmut hin und bewahrte sie in meinem Herzen. Ich habe nur wenige Erinnerungen aus diesen fernen Tagen, die mir so klar vor Augen stehen. Ich vermute daher, dass sie für meinen jungen, formbaren Geist von einiger Bedeutung war.
Wenige Jahre später, zwei oder drei, hielt man mich für alt genug, mit zu den Feierlichkeiten des Empire Day nach Onitsha zu ziehen, jenen legendären, sieben Meilen von unserem Dorf entfernten Ort am Niger. Alt genug musste man damals deshalb sein, weil man alle Wege zu Fuß zurücklegte. Auf dem Marsch nach Onitsha sah ich im Busch an der Straße einen Markstein der Landvermesser mit der Legende »Professor Nnamdi Azikiwe«. Ich glaube, es ist die Stelle, an der heute in Onitsha sein Haus steht. Ich kann mich natürlich irren - und wenn schon. Legenden finden sich nicht immer da, wo wir sie vermuten.
Hören Sie also in nuce eine bescheidene persönliche Impression des überlebensgroßen Mannes, der meine Kindheit überragte wie ein Kolossos.
Es ist nicht uninteressant und - wie ich finde - ebenso bedeutsam wie passend, dass er mir zunächst in mündlicher Überlieferung begegnete, allgegenwärtig, nebulös, ehe er in der gesetzteren Form des gedruckten Worts Gestalt annahm. Azikiwe selbst, nebenbei bemerkt, bewegte sich sehr selbstverständlich in der einen wie der anderen Form, er besaß die Eloquenz des Redners ebenso wie die Prägnanz des Pressejournalisten.
Was ich vermitteln will, ist schon dem Wesen nach schwer greifbar - der Punkt, an dem sich Geschichte und Legende in einer Zeit des Übergangs schneiden. Daran zu erinnern, dass der Name Azikiwe bis zu meinem zehnten Lebensjahr in jenem Teil Nigerias, aus dem ich stamme, jedem geläufig war, wäre zwar richtig, aber unzureichend. Er lag mehr in der Luft als in aller Munde. Es haftete ihm etwas Magisches an - schwindelerregend, ja berauschend.
Es gibt eine Anekdote, die ich sehr viel später erst hörte, nämlich die Geschichte, wie Zik sich nach seiner Rückkehr aus Amerika um einen Lehrposten am Yaba Higher College in Lagos bewarb und von der britischen Kolonialregierung abgelehnt wurde. Ob sie wahr ist oder nicht, ist mir gleich! Mir gefällt sie, sie sollte wahr sein. Von einem exzentrischen Redakteur des Hansard, jenes Organs, in dem in Großbritannien die Parlamentsdrucksachen und Protokolle veröffentlicht werden, wird erzählt, zu ihm sei eines Tages ein aufgebrachter Parlamentarier gestürzt, habe eine Ausgabe des Hansard auf den Tisch geworfen und gerufen: »Das habe ich nie gesagt!«, woraufhin der gute Mann gelassen erwidert habe: »Das weiß ich, hätten Sie aber müssen.«
So geht es mir mit Ziks Bewerbung um einen Lehrposten in Lagos. Es mag sie nie gegeben haben, hätte sie aber geben müssen, denn als Beispiel für ausgleichende Gerechtigkeit wäre sie einfach ein zu schöner Anlass zu diebischer Freude und dazu, dem Kolonialismus eine Nase zu drehen: Ntoo! Das habt ihr davon!
Zehn Jahre vor Azikiwe war bereits ein anderer großer Kämpfer für die afrikanische Sache im Anschluss an sein Studium in den Vereinigten Staaten nach Westafrika zurückgekehrt. Er hieß James Emmanuel Kwegyir Aggrey - Dr. Aggrey von der »Goldküste«. Ihn stellten die Kolonialbehörden als Lehrer am Achimota College ein, aber nicht etwa als Leiter, wie er es verdient hätte, sondern als Untergebenen eines netten, aber farblosen englischen Klerikers. Aggrey wurde vom Kolonialismus kooptiert und damit ruhiggestellt.
Azikiwe entging diesem Schicksal und konnte sich stattdessen seiner revolutionären Strategie widmen - einer großangelegten Bildungsoffensive, die nicht auf Institutionen beschränkt, sondern auf die Straßen und Pfade der Dörfer und Städte Nigerias getragen werden sollte. »Leuchte ihnen, und die Menschen sehen vor sich den Weg.« Er leuchtete, und sie sahen.
Politik wurde in Lagos schon gemacht, bevor Zik 1937 auf den Plan trat. Es erschienen auch Zeitungen, bevor der West African Pilot sein Licht leuchten ließ. Doch die Politik und die Zeitungen bedienten eine kleine, geschlossene Gesellschaft gebildeter, wohlhabender Städter. Man hat verschiedentlich bemerkt, die Leitartikel der Presse in Lagos seien in jenen Tagen mit langen lateinischen Zitaten gespickt gewesen. Azikiwe entfesselte sein Licht unter den Menschen und verwandelte Nigeria über Nacht. Mitarbeiter der Behörden, Lehrer an Missionsschulen, Studenten, Angestellte von Handelshäusern im Besitz von Europäern: die Gebildeten und Halbgebildeten lasen auf einmal Berichte über politische Freiheit und die Lage in ihren Städten und Gemeinden. Beliebte Sänger brachten Platten mit Lobpreisungen heraus: »Zik nwa Jelu Oyibos«, Sohn Afrikas, der ins Land der Weißen hinauszog.
Unsere Kolonialherren waren keineswegs Novizen in der Unterbindung von Agitationen ihrer Untertanen. Viele Schulleitungen verboten die Distribution der Zeitungen Ziks, was ihren Reiz begrei?icherweise nur steigerte. Ich selbst besuchte eine etwas fortschrittlichere Schule, wo die Lehrer nicht von Verboten sprachen, sondern aufzeigten, wie schlecht die Artikel geschrieben seien - kaum verwunderlich angesichts des beklagenswerten Niveaus der amerikanischen Bildung. Ich erinnere mich an eine Examensarbeit, die unser Englischlehrer uns im zweiten Jahr stellte, bei der wir Wörter wie »eschatologisch« und »präsidial« zu erläutern hatten. Wir rauschten ausnahmslos durch, woraufhin der Lehrer uns verriet, dass er die Begriffe der jüngsten Ausgabe einer der Zeitungen Ziks entnommen habe. Vermutlich wollte er demonstrieren, welch böses Ende es mit uns nehmen würde, sollten wir Ziks bombastischem Beispiel folgen. Stattdessen prägte er uns mit seiner Methode sehr effektiv und auf ewig neue Wörter ein.
Ich spreche hier natürlich von den Pioniertagen des antikolonialen Kampfs. Ziks wachsendem Ein?uss entsprachen auf der Gegenseite proportional die Bemühungen um Schadensbegrenzung, von denen sich im Rückblick als am erfolgreichsten erwies, was man das Buthelezi-Syndrom nennen könnte, nämlich die Schwächung der Freiheitsbewegung durch koloniale Unterstützung konkurrierender Faktionen. In Nigeria betrieb man diese...
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