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Stellen Sie sich eine Mutter Angesicht zu Angesicht mit ihrem Baby vor; das ganze Gesicht des Babys strahlt vor Freude als Reaktion auf eine freundliche, zugewandt agierende Mutter. Wenn Sie dies sehen, fühlen Sie sich gut. Weshalb? Es geschieht etwas Gutes: Bindung, mit all dem biologischen und psychologischen Nutzen, der daraus resultiert. Ein Kind, das mit intakter elterlicher Bindung aufwächst, wird fähig sein, eine Beziehung zu anderen Menschen einzugehen, ohne übermäßige Furcht, Angst oder Abwehrhaltung.
Aber was passiert, wenn diese Bindung durchbrochen wird, sei es durch Tod, Missbrauch, Trennung oder durch eine mentale Erkrankung eines Elternteils? Dieses Bindungstrauma verursacht schmerzhafte Gefühle. Wenn ein Kind diesen Schmerz mithilfe einer geliebten Bezugsperson verarbeiten kann, wird es sich normal entwickeln und später im Leben nahe Beziehungen eingehen. Wenn aber für die Verarbeitung der schmerzhaften Gefühle nicht die Unterstützung einer nahestehenden Bezugsperson zur Verfügung steht, wird das Kind diese Gefühle genauso vermeiden wie die Art von Beziehungen, welche solche Gefühle auslösen. Es wird unter Ängsten vor Nähe und Intimität leiden.
Auch kann der intensive Schmerz starke Gefühle von Wut auf den verlorenen, abwesenden oder missbrauchenden Elternteil auslösen. Außerstande, sich bei der Verarbeitung seiner Gefühle auf diesen Elternteil verlassen zu können, ist das Kind mit seiner noch unreifen seelischen Entwicklung stattdessen auf seine Abwehrmechanismen angewiesen. Die bewusst wahrgenommenen Wutgefühle verursachen Leid, daher wird das Kind diese leidvollen Gefühle letztendlich in das Unbewusste verschieben. Das Kind differenziert nicht zwischen seinen Gefühlen und wirklichen Taten: es wird die starken Wutgefühle als real erleben, ganz so, als hätte es tatsächlich seine Eltern verletzt oder ermordet. Als Folge davon entstehen komplexe gemischte Gefühle von Liebe, Schmerz, Wut, Sehnsucht und Schuldgefühle über diese Wut. Das Kind wird daher versuchen, Situationen oder Personen zu vermeiden, die diese komplexen schmerzhaften Gefühle aktivieren könnten.
Ein Kind, das seine komplexen Gefühle unterdrückt, kann zu einem Jugendlichen werden, der zwischenmenschliche Beziehung vermeidet und selbstzerstörerisches Verhalten oder psychische Erkrankungen wie Angst, Depression oder Anorexie entwickelt. Je früher das Trauma erfolgt ist, desto intensiver werden Schmerz, Wut und Schuldgefühle erlebt, und umso stärker ausgeprägt werden folglich die Abwehrmechanismen und der Hang zur Selbstzerstörung sein ( Kap. 3). Der Zusammenhang zwischen diesen Traumata und langanhaltenden Schwierigkeiten wurde in verschiedenen Studien über schädigende Kindheitserfahrungen beobachtet (Felitti et al. 1998).
Wenn ein Elternteil auf sein Kind nicht eingehen kann oder will, bleiben die Bindungsbedürfnisse des Kindes unbefriedigt. Kinder ohne sichere Bindung entwickeln krankhafte Muster, wie zum Beispiel eine fragile Charakterstruktur (Davanloo 1995a) oder eine Borderline-Persönlichkeitsorganisation (Kernberg 1976). Sie werden infolge ihrer frustrierten Bindungsbemühungen unter den Folgen von massivem Schmerz, Wut und Schuldgefühlen leiden. Sie sind auf sogenannte primitive Abwehrformen wie Projektion, Spaltung oder projektive Identifikation angewiesen und in ihrer Fähigkeit beeinträchtigt, ein integrierendes Selbst aufrecht zu erhalten. Unbewusste Angst zeigt sich bei ihnen in Verwirrtheitszuständen und zahlreichen neurologischen Symptomen, man spricht dann von verminderter Angsttoleranz.
Aktuelle Beziehungen mobilisieren die von einem Bindungstrauma herrührenden komplexen Gefühle; das gilt im Besonderen für die Psychotherapie. Weshalb ist das so? Sie als Therapeut sind eine fürsorgliche Person, die dem Patienten Bindung anbietet und Achtung entgegenbringt. Wenn Sie ihm diese therapeutische Beziehung anbieten, wird dies den Patienten an seine früheren gescheiterten Bindungen und seine missglückten Bindungsbemühungen erinnern. Bei diesem Prozess der Emotionsaktivierung handelt es sich um eine Übertragung, bei welcher frühere Gefühle, Angst und Abwehrmechanismen durch die aktuelle therapeutische Beziehung aktiviert werden. Auch wenn der Übertragungsprozess nicht den Ursprung sämtlicher emotionalen Reaktionen des Patienten darstellt, so ist er doch der zentrale Fokus der ISTDP und der meisten Arten psychodynamischer Therapien.
Zur Vereinfachung der Terminologie verwendete Habib Davanloo (1990) den Begriff Übertragung auch zur Beschreibung der therapeutischen Beziehung überhaupt. Sie ist das T des klassischen Personendreiecks (Malan 1979), in dem C für Personen im aktuellen Leben und P für Personen aus der Vergangenheit steht ( Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Das Personendreieck
Der Begriff Gegenübertragung hat viele verschiedene Bedeutungen. Otto Kernberg schlägt eine umfassende Definition von Gegenübertragung vor, indem sie für alle Gefühle steht, die ein Therapeut mit einem Patienten erleben kann. Er beschreibt drei Arten von Gegenübertragung, die alle für ISTDP hochrelevant sind:
Objektive Gegenübertragung: Der Patient ruft im Therapeuten emotionale Reaktionen hervor, welche die meisten Menschen haben würden. Würde beispielsweise ein Patient wiederholt fluchen, wären die meisten Therapeuten wie auch andere Menschen aufgrund eines solchen Verhaltens objektiv verärgert.
Subjektive Gegenübertragung: Der Patient ruft im Therapeuten Gefühle hervor, die dem Therapeuten etwas über das Innenleben des Patienten sagen. Kernberg (1965) beschreibt zwei Arten von subjektiver Gegenübertragung.
- Bei der konkordanten Gegenübertragung identifiziert sich der Therapeut mit dem Erleben des Patienten. Dieser Prozess ist Produkt der empathischen Einstimmung und ermöglicht dem Therapeuten zu fühlen, was der Patient selbst fühlt. Als soziale Wesen sind wir in der Lage, Gefühle anderer Menschen zu fühlen und können, bis zu einem gewissen Grad, diese auch körperlich erleben. Beispielsweise kann Ihnen als Therapeut das Gefühl im eigenen Magen Hinweis geben, dass die Angst des Patienten gerade in die glatte Muskulatur seines Magens kanalisiert wird. Oder Sie können Wut in Form von aufsteigender Hitze in Ihrer Brust fühlen, als Zeichen, dass die Wut des Patienten an die Oberfläche kommt.
- Um komplementäre Gegenübertragung handelt es sich, wenn der Therapeut die Gefühle des Patienten im Übertragungswiderstand des Patienten fühlt. Zum Beispiel: der Patient lehnt Sie ab sowie er selbst abgelehnt worden ist und Sie nehmen ähnliche Wutgefühle wahr, wie der Patient sie hatte, als er in der Vergangenheit abgelehnt worden war.
Neurotische Gegenübertragung: Der Therapeut hat Gefühle dem Patienten gegenüber, die aus dem eigenen ungelösten Bindungstrauma des Therapeuten herrühren. Im Besonderen werden die aus der Vergangenheit stammenden ungelösten Gefühle im Therapeuten aktiviert, wenn er sich mit dem Patienten emotional verbindet und sie zeigen sich in einer Kombination aus unbewusster Angst und Abwehr.
Therapeuten, die intensive Therapien anbieten, müssen sich dieser Reaktionen bewusst sein, um sie therapeutisch nutzen und negative Konsequenzen für die Patienten vermeiden zu können. Mit Gegenübertragung zusammenhängende Schwierigkeiten werden unter Bezug auf verschiedene Patientenkategorien in den Kapiteln 13-17 besprochen.
Ein Bindungstrauma stellt für eine Reihe von Krankheiten die zentrale pathogene Kraft dar. Übertragung bedeutet, dass ungelöste Gefühle eines Patienten aus der Vergangenheit in der aktuellen Beziehung zum Therapeuten oder zu anderen Personen aktiviert sind. Von objektiver Gegenübertragung spricht man, wenn der Patient beim Therapeuten Gefühle hervorruft, die bei den meisten Menschen ausgelöst würden. Subjektive Gegenübertragung stellt das Auslösen von Gefühlen beim Therapeuten dar, die im Zusammenhang mit dem individuellen inneren Erleben des Patienten stehen. Bei neurotischer Gegenübertragung werden vom Therapeuten unbewusst eigene ungelöste Gefühle auf den Patienten übertragen. Gegenübertragungsantworten...
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