Schweitzer Fachinformationen
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Dieses Praxismanual ist im Rahmen eines Versorgungsforschungsprojekts in Neuschottland (Kanada) zur Verbesserung der Behandlung von Patienten mit »medizinisch nicht erklärbaren« bzw. psychosomatischen Beschwerden entstanden (Cooper et al., 2017), nachdem die grundsätzliche Wirksamkeit dieses emotionsfokussierten Psychotherapieansatzes in mehreren klinischen Studien auf überzeugende Weise gezeigt werden konnte (Lilliengren et al., 2016; Abbass et al., 2009b). Geprüft wird derzeit ein gestuftes Versorgungsmodell, das von der hausärztlichen Praxis bis hin zur Fachpsychotherapie und stationären psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung reicht (Cooper et al., 2017). Das Praxismanual ist die Frucht der intensiven Schulungsmaßnahmen für die teilnehmenden Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte und Sozialarbeiter. Die Übersetzer nehmen deshalb an, dass dieses Manual für eine breite Gruppe von Angehörigen der Gesundheitsberufe in den deutschsprachigen Ländern hilfreich ist. Ärzte in der Primärversorgung, die mit der psychosomatischen Grundversorgung betraut sind, Lehrende im Bereich der Psychosomatischen Medizin und auch Fachpsychotherapeuten, die einen beobachtungs- und praxisnahen Leitfaden für die Behandlung dieser Patienten suchen, werden von diesem Praxisleitfaden profitieren. Es sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass, auch wenn der hier dargestellte emotionsfokussierte Ansatz der Intensiven Dynamischen Kurzzeitpsychotherapie bisher wenig in den deutschsprachigen Ländern wahrgenommen wurde, er in der S3-Leitlinie »Funktionelle Körperbeschwerden« (AWMF-Reg.-Nr. 051-001) ausgiebig rezipiert wird und Standards für die moderne evidenzbasierte Psychotherapie setzt.
In der Übersetzergruppe entschieden wir uns für den im Deutschen wenig gebräuchlichen Begriff der »psychophysiologischen Störungen«, der im ICD-10 nur in Bezug auf die psychophysiologische Insomnie gebraucht wird. Als Alternative stand der Begriff der »funktionellen Störung« zur Debatte, denn das Gros der im Praxisleitfaden abgebildeten Störungsbilder entspricht den in der S3-Leitlinie »Funktionelle Körperbeschwerden« (AWMF-Reg.Nr. 051-001) beschriebenen Krankheitsbildern, die kriteriengemäß als somatoforme Störungen (ICD-10) oder neuerdings als somatische Belastungsstörung und verwandte Störungen (Krankheitsangststörung; Konversionsstörung; Psychologische Faktoren, die eine körperliche Krankheit beeinflussen; DSM-5, ICD-11) verschlüsselt werden.
Psychophysiologische Störungen umfassen nach Schubiner und Abbass neben chronischen Schmerzbildern (z. B. Fibromyalgie, Migräne, Morbus Sudeck) auch andere Syndrome wie das chronische Erschöpfungssyndrom, chronische Nesselsucht, Tinnitus, depressive Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen und Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen. Das Spektrum ist also sehr breit und umfasst letztendlich alle Störungen, für deren Entstehung mehr oder weniger schwerwiegende Bindungstraumatisierungen und unverarbeitete Emotionen relevant sind. Die Zusammenfassung all dieser o. g. Störungen unter dem Dach der »psychophysiologischen Störung« erscheint auch insofern naheliegend, da zwischen den »funktionellen Störungen« und den im engeren Sinne »psychischen Störungen« eine sehr hohe »Komorbidität« besteht. Außerdem betont der Begriff der »psychophysiologischen Störungen« weit stärker als das Konzept der somatischen Belastungsstörung die direkten physiologischen Auswirkungen unverarbeiteter bzw. konflikthafter Gefühle auf den Körper. Die obengenannten Krankheitsbilder sind nicht nur die Folge dysfunktionaler Kognitionen (Abbass et al., 2018), sondern gehen auf direkte physiologische Effekte des überaktivierten Angst-Abwehrsystems zurück.
Der Praxisleitfaden wurde John Ernest Sarno (1923-2017), einem im angloamerikanischen Sprachraum bekannten Psychosomatiker, gewidmet. Sarno war Professor of Rehabilitations Medicine an der New York University School of Medicine. Er hat mehrere Bücher zur Mind-Body-Medicine veröffentlicht, zuletzt im Jahr 2006 »The Divided Mind: The Epidemic of Mindbody Disorders«. Einen Eindruck von seinem Schaffen vermittelt auch der Dokumentarfilm »All the Rage« aus dem Jahr 2016, der sich mit der Schmerzepidemie in den USA und der daraus folgenden Opiatsucht befasst. Er vertritt als Rehabilitationsmediziner einen durchweg psychodynamisch-psychosomatischen Ansatz und sieht insbesondere unbewusste Wut, auch getriggert durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, als ursächlich für die Schmerzepidemie in den USA an. Sarno vertritt wie die Autoren die These, dass erlernte zentralnervöse Prozesse als Reaktion auf unverarbeitete komplexe angstmachende Emotionen für die psychosomatischen Beschwerden verantwortlich sind. Das Gehirn generiert quasi die unterschiedlichen Beschwerden, um die Person vor den darunterliegenden Gefühlen zu »schützen«. Die Symptome dienen dabei der Ablenkung von den eigentlichen Ursachen: »Physical symptoms, of either the hysterical conversion or psychosomatic variety, are intended to divert attention from emotions in the unconsciousness so that they will not become overt and thereby known to the conscious mind« (Sarno, 2007, S. 50).
Grundlage der in der zweiten Buchhälfte vorgestellten emotionsfokussierten Psychotherapie ist die Intensive Dynamische Kurzpsychotherapie, ISTDP (Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy), die von Prof. Dr. med. H. Davanloo begründet wurde. Er war ursprünglich Neurochirurg, wechselte in die Psychiatrie, erlebte seine eigene Analyse bei Helene Deutsch und nutzte die Psychoanalyse als therapeutische und wissenschaftliche Grundlage für sein Wirken als Lehrstuhlinhaber an der McGill Universität in Montréal. Von 1960 an zeichnete er seine Therapien audiovisuell auf. Anhand der Videos studierte er akribisch, welche Interventionen erfolgreicher waren als andere. Auf der Basis seiner Videoanalysen entwickelte er die ISTDP, welche eine einfache und verständliche Neurosenlehre mit differenzierten psychotherapeutischen Interventionstechniken verbindet. Die Anwendung dieser hochwirksamen Therapie erfordert ein hohes Maß an Supervision und Selbstüberprüfung, sodass auch für die Evaluation des Therapieprozesses die Dokumentation der Behandlungsstunden mittels Ton- und Bildaufzeichnung erforderlich ist. Bei der Datenspeicherung sind höchste Anforderungen an die Datensicherheit zu stellen.
Die meisten Patienten kommen in Therapie, weil sie leiden. Sei dies psychisch oder rein körperlich. Bei vielen Körperbeschwerden wird kein körperlicher Auslöser für das Leid gefunden. Die Ursache der Symptome liegt oft in unbewussten Gefühlen, die mithilfe von Abwehren verdrängt werden. In der Kindheit hat das geholfen, sich besser an die Umgebung anzupassen, Spannungen weniger bedrohlich werden zu lassen, Situationen zu deeskalieren und existenzielle Konflikte mit den primären Bezugspersonen zu vermeiden. Auf Dauer können diese Anpassungsmechanismen zu Symptombildung und einem Andauern des Leidens führen.
Das neugeborene Kind sucht die liebende Verbindung zu seinen Bezugspersonen, den Eltern. Wird die Liebe durch Vernachlässigung, körperliche oder seelische Verletzungen gestört, reagiert das Kind, das im frühen Alter nur emotional und nicht kognitiv gesteuert kommunizieren kann, mit Trauer und Wut. Die Wut wiederum löst Schuldgefühle aus, denn es ist wütend auf einen Menschen, den es liebt und braucht, der durch sein Verhalten seine Liebe verletzt hat. Das Kind in der frühen Entwicklungsstufe kann wütende Impulse in seiner Erinnerung nicht von aggressiven Taten unterscheiden, sodass bereits aggressive Handlungsphantasien als reale Tat wahrgenommen werden und zu massiven Schuldgefühlen führen können. Dies geschieht insbesondere dann, wenn die Bezugsperson das Kind durch seine eigene Präsenz und Zuwendung nicht von seiner lebendigen Unversehrtheit überzeugt, sondern sich entzieht.
Das Kind macht die unbewusste Erfahrung, dass es mithilfe von Abwehrstrategien seine gemischten Gefühle vermeiden kann und dadurch nicht mehr von diesen bedrängt wird. Dieser seelische Vorgang hilft ihm auch, sich an die Situation zu adaptieren und die lebensnotwendige Bindung aufrechtzuerhalten. Da der Mensch auf liebende Verbindungen angewiesen ist, sucht er auch als Erwachsener danach. Dadurch setzt er sich der Gefahr aus, alte Erfahrungen zu wiederholen und erneut...
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