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Es war dann bei meinem zweiten Besuch, als mir Mimmi die Geschichte mit dem «Beine spreizen» erzählte.
Mimmi war ledig. Blieb es auch. Und betreute - so wie es sich für die unverheiratete Tochter des italienischen Haushalts gehörte - die Eltern.
Sie lebte bis zu ihrem Tod alleine auf dem Schloss. Vereinsamt. Nur mit Gott, aber ohne Welt. Und leicht «hinüber», wie mir ihre Schwester Lida immer wieder versicherte.
Anfangs besuchte ich Mimmi noch. Mittlerweilen wurde das Schloss jedoch immer kleiner - die Kinderfantasie brach zusammen. Und die grossen Salons waren ganz gewöhnliche Zimmer, die verdammt dringend einer Renovation bedurften.
Nach dem Krieg hatte man der Familie des Conte wegen seiner faschistischen Vergangenheit alle Ländereien weggenommen. Nur das Schloss durfte er behalten - und ein kleines Stückchen Wald, in dem das Holz für den Winter gesammelt wurde.
Immerhin - das kleine Gut mit dem riesigen Garten, in dem ein Meer wilder Zyklamen im Oktober und ein Heer wehender Mimosenbäume im März sich wiegten, gab immer noch etwas her. Also habe ich auf einer meiner Fahrten nach Rom auch meine Freundin Kitty mitgenommen.
Kitty kam aus stinkreichem Basler Haus. Und da wollte ich ihr doch gerne demonstrieren, dass es auf unserer Seite auch so etwas wie Noblesse gab.
«Wir besuchen nun meine Tante Mimmi. Sie ist die Tochter des Grafen. Und sie wohnt in einem Schloss .»
Kitty schaute misstrauisch. Sie kannte meinen Hang zu grossen Geschichten.
Als wir dann aber vor dem grossen Tor mit dem steinernen Wappen ankamen, war sie doch ein bisschen beeindruckt. Natürlich zeigte sie das nicht. WER IM GELD AUFWÄCHST, SCHÜTZT SICH VOR GEFÜHLEN. Hinter einer eisernen Miene werden innere Regungen versteckt.
«Ist dies das Schloss?»
«Ja», sagte ich wichtig. Und hupte.
Das Tor öffnete sich.
Mimmi wackelte uns mit einem Strick-Mützchen auf dem fast kahlen Köpfchen entgegen. Sie trug eine Pyjama-Hose. Und zwei verschiedenfarbige Socken. Die Bluse hatte sie falsch herum zugeknöpft. Und aus ihrem zahnlosen Mund lispelte es: «Hassst du die Maggiwürfeli mitgebracht, Andrea .?»
DAS WAR NICHT UNBEDINGT DER MAJESTÄTISCHE AUFTRITT, DEN KITTY BEEINDRUCKEN KONNTE.
Jahre später liess Mimmi niemanden mehr zu sich. Das grosse Tor blieb für immer zugeperrt. Als man sie schliesslich leichenstarr auf dem steinernen Küchenboden fand, waren alle Zimmer mit Zeitungen, leeren Dosen und Lebensmittelkisten zugemüllt.
Mimmi hatte die letzten Jahre nur noch vor einem alten Gasherd auf einem Feldbett dahinvegetiert. Ihren Neffen Tonino empfing sie vor dem grossen Portone auf der Strasse. Auch Tonino durfte nicht mehr ins Schlösschen .
Draussen übergab sie ihm ihre Rechnungen. Machte rechtsumkehrt. Und schloss das Tor wieder.
Sie liess keinen mehr in ihr Reich.
Der Prete, der Mimmi einmal in der Woche die Beichte abnahm (und der als einziger im Ort einen Schlüssel zum grossen Tor hatte) fand sie vor dem Herd. In ihren Händen hielt sie das Kreuz des Herrn. Und ein Foto, das ihre Eltern zeigte.
Sie war schon vier Tage tot.
Damals aber, als ich Mimmi 16-jährig mit meinen Eltern zum zweiten Mal besuchte, war sie noch ein quicklebendiges, quirliges Ding.
Ihre Schwester Lida lebte mit ihrem Mann, dem Bürgermeister von Viareggio in der Toskana. Die beiden hatten einen Jungen - den 19-jährigen Tonino. Mit ihm sollte ich das Zimmer teilen.
Meine Alten hatten sich nach dem Mittagessen zurückgezogen. Ich aber wollte von Mimmi endlich Näheres über die italienische Familiengeschichte und das «Beine spreizen» erfahren.
Mammas Cousine liess also eine dieser dunklen italienischen Brühen im Kaffeekocher aufbrodeln. Ich schüttete das Gesöff später in einem unbeobachteten Moment ins Gras. Caffè kann man in Italien nur an der Bar trinken.
Wir sassen in dem riesigen Garten unter den hohen Bäumen auf dem üppigen Teppich von Zyklamen. Dann wollte Mimmi zuerst wissen, wie es Zia Luggi gehe.
Sie hatte meine Grossmutter nur ein einziges Mal als kleines Kind gesehen - das war an der Kommunion von Carlotta. Die «Italiener» tauchten in corpore im Basler Landkanton auf, um Carlotta den Segen zu geben. Beim Essen nach der Kirche aber rastete meine Grossmutter nach der zweiten Flasche Champagner total aus. Sie nannte ihre Schwester eine miese Schlampe. Und eben: «Wenn du damals die Beine nicht sofort auseinander .»
Die Italiener zogen mit lautem Getöse ab: «Das war unser letzter Besuch in der Schweiz!», lächelt Mimmi jetzt.
Meine Mutter, die begnadete Diplomatin, hat viele Jahre später die Fäden zum Lago d'Orta neu gesponnen. Dabei hatte sie (natürlich!) eigene Interessen im Visier - und holte sich bei meinem Freund Dietrich schon mal juristischen Rat: «Sie haben nicht viel. Aber das Schloss ist ja noch da . und Mimmi ist ledig. Tonino und Andrea sind die einzigen Erben. Wie geht das mit dem italienischen Erbrecht bei Neffen ersten Grades?»
Mimmi grinste nun: «Also - ich erzähle dir jetzt die Geschichte der beiden Schwestern: Die Marschallin schickte deine Grossmutter und deren Schwester Norma für den letzten gesellschaftlichen Schliff nach Stresa .»
Davon hatte ich bereits gehört. Die beiden Mädchen sollten am Lago Maggiore Italienisch lernen .
Mimmi nickte: «Die Marschallin schickte auch ihren Sohn Josef mit, der auf die beiden Schwestern aufpassen sollte. Dem Bruder wurde der Hütedienst bald einmal zu langweilig. Er zog Leine - und weiter nach San Remo. Dort hatte er dann im Casino seine schillernden Auftritte - du hast bestimmt schon davon gehört .»
Hatte ich.
Somit fehlte also der Aufpasser für die Mädchen?
«Eben», nickte Mimmi, «die beiden haben das sehr genossen. Kein Anstandswauwau weit und breit. Sie waren frei. Und spazierten abends am See. Oder sie unternahmen Bootsfahrten. Als Luggi eines Tages in ein Boot steigen wollte, um mit ihrer Schwester zur borrömäischen Insel zu rudern, half ihr ein junger Italiener galant beim Losbinden des Schiffs. Er anerbot sich, das Rudern zu übernehmen .»
«Aha - der Conte?!»
Mimmi nickte: «. Ja, aber das wussten die beide nicht. Carlo sah einfach gut aus. Hatte Charme. Umgangsformen. So etwas beeindruckte die biederen Schweizer Mädchen. Und da sie aufeinander aufpassen konnten, sahen sie keinen Grund, den jungen Burschen abblitzen zu lassen .»
Ich schaute Mimmi fragend an: «Omama Luggi hat immer mal wieder von dieser Bootsfahrt erzählt. Und von Rosen .»
«. es waren mehrere Bootsfahrten», erzählte Mimmi jetzt.» Die Schwestern kamen fast jeden Abend zum Holzschiff. Eines Tages, als die beiden Mädchen bereits im Boot sassen, regnete es rote Rosen auf sie herunter. Hunderte von Blüten tanzten auf Luggi und Norma nieder. Da war den beiden klar, dass der junge Mann für die Schweizerinnen entflammt war. Die Frage war nur: für welche der beiden?»
«Du meinst, er wollte keinen flotten Dreier?»
Ich hatte Mimmi da wohl etwas zu krass ins sexuelle Heute zurückgeholt. Jedenfalls kapierte sie das Spässchen nicht - sie war immer noch Jungfrau. Und ging - wie erwähnt - einmal wöchentlich zur Beichte. (w a ssie beichtete, ist bis heute ein Rätsel.)
Aber zurück zur Omama und ihrer Schwester.
Die beiden Frauen beschlossen, einzeln auf die Bootsfahrt zu gehen. Zuerst Luggi. Am nächsten Tag Norma. So würde sich bestimmt klar herausstellen, welche der Schwestern der Comte auf dem Radar hatte.
Mimmi seufzte: «. Nun mit deiner Grossmutter Luggi kam er schnell wieder zurück. Er schenkte ihr ein Sträusschen mit Narzissen. Und küsste artig ihre Hand. Das war's auch schon. Bei Norma aber hat er nach einer Stunde Rudern vor einem kleinen Pavillon das Boot an Land gezogen. Und den Rest kannst du dir ja vorstellen . jedenfalls reiste Luggi am Tag darauf schnaubend in die Schweiz zurück. Und Norma blieb».
SIE SEUFZTE NUN: «Meine Mutter hat die Schweiz DANACH nur noch einmal besucht - zur Kommunion von Carlotta .»
Ich zögerte ein bisschen und wusste nicht, wie ich die heisse Frage bei einer Jungfrau ansetzen sollte: «Also, die Omama hat immer etwas von gesagt?»
Mimmi schaute mich grimmig an: «Ja klar. Mamma war sofort schwanger. Ein Riesenskandal. Überstürzt...
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