Textprobe:
Kapitel II, Haftungsrisiken des Käufers:
1, Kartellrechtliche Perspektive:
Das europäische und deutsche Kartellrecht ist unternehmensbezogen ausgestaltet. Dabei folgt es dem sogenannten funktionalen Unternehmensbegriff, also der Erfassung wirtschaftlicher Einheiten. Eine solche wirtschaftliche Einheit kann über die Grenzen eines Rechtssubjektes hinausgehen und sich mitunter auf mehrere Konzerngesellschaften erstrecken. Mit seiner Akzo-Nobel-Entscheidung vom 10.09.2009 entschied der Europäische Gerichtshof, dass eine Kapitalbeteiligung von 100% eine widerlegliche Vermutung für eine wirtschaftliche Einheit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft darstellt. Beide Gesellschaften haften daher bei Bußgeldern wegen Kartellverstößen gesamtschuldnerisch. Das Bußgeld wird der Höhe nach anhand der Summe der Gesamtumsätze der wirtschaftlichen Einheit festgelegt. In der Literatur wird diese Rechtsprechung insbesondere aus gesellschaftsrechtlicher Sicht kritisiert. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in 'Elf Aquitaine' mildert die Rechtslage zumindest dahingehend ab, dass künftig die Vermutung der Haftungszurechenbarkeit erleichtert widerlegt werden kann.
Die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestätigt die kartellrechtliche Haftungsgefahr für Unternehmen im Kontext zu M&A-Transaktionen. Hintergrund der Entscheidungen war die Frage einer gesamtschuldnerischen Haftung für kartellrechtswidriges Verhalten bei Vorliegen eines bestimmenden Einflusses der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft. In den Rechtssachen Kommission gegen Alliance One International bestätigte der Europäische Gerichtshof, dass die Kommission davon ausgehen kann, dass die Muttergesellschaft einen solchen Einfluss ausübt, wenn sie das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft hält. Demzufolge ist eine Bußgeldfestsetzung gegen die Muttergesellschaft möglich, ohne dass zuvor deren eigene Beteiligung an der Zuwiderhandlung gegen europäisches Kartellrecht nachzuweisen ist. Dieses führt allerdings nicht dazu, dass die Kommission keine anderen Beweismittel zum Nachweis eines bestimmenden Einflusses verwenden kann (sogenannte doppelte Grundlage). In der Rechtssache Kommission gegen The Dow Chemical Company führte das Gericht aus, dass im Falle einer 100% unterschreitenden Beteiligung ein bestimmender Einfluss zu prüfen und durch die Kommission mittels geeigneter Beweismittel nachzuweisen ist. Dadurch kann auch - wie in diesem Fall - eine 50%-ige Beteiligung zweier Gesellschaften im Rahmen eines Joint Ventures genügen, um die beteiligten Gesellschaften als wirtschaftliche Einheit und mithin als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts anzusehen. Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebende Haftungsgefahr in Konzernkonstellationen bildet zugleich die Perspektive des Käufers bezüglich kartellrechtlicher Verstöße des Zielunternehmens.
Das deutsche Recht zur bußgeldrechtlichen Haftung des Rechtsnachfolgers (Successor Liability) unterscheidet sich vom europäischen Recht. Eine Geldbuße gegen juristische Personen ist über §§ 30, 130 OWiG grundsätzlich möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Fall 'Versicherungsfusion' war eine bußgeldrechtliche Haftungserstreckung auf den Gesamtrechtsnachfolger nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn zwischen neuer und alter Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zumindest nahezu eine Identität besteht. Konsequenterweise konnte eine Sanktionierung durch gesellschaftsrechtliche Gestaltung im deutschen Recht umgangen werden. In dem neu eingeführten § 30 Abs. 2a OWiG findet sich nunmehr die rechtliche Grundlage für die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger. Dieses bezieht sich allerdings lediglich auf die Gesamtrechtsnachfolge beziehungsweise eine partielle Gesamtrechtsnachfolge im Sinne des § 123 UmwG. Die Einzelrechtsnachfolge (Vermögenserwerb) wird hiervon jedoch nicht erfasst, sodass ein Abzug von Vermögenswerten weiterhin möglich bleibt. Damit unterscheidet sich das deutsche vom europäischen Kartellrecht, welches - wie oben gesehen - keine Umgehungsmöglichkeiten bietet.
Der Erwerber eines Unternehmens ist im Rahmen der Transaktionsabwicklung regelmäßig bemüht, Haftungsrisiken so weit wie möglich auszuschließen beziehungsweise im Vorfeld zu eruieren. Die Haftungslage ist dabei im Wesentlichen abhängig von der gewählten Transaktionsform: Dem Erwerb von Gesellschaftsanteilen (share deal) oder alternativ dem Erwerb der einzelnen Wirtschaftsgüter des Zielunternehmens (asset deal).
2, Share Deal:
Beim Anteilserwerb haftet der Käufer grundsätzlich nicht für Zuwiderhandlungen vor Vollzug der Transaktion, da der Käufer zum Zeitpunkt einer Zuwiderhandlung keinen bestimmenden Einfluss auf das Zielunternehmen ausüben kann. Dauert der Verstoß allerdings auch nach Vollzug an, haften Veräußerer und Erwerber gesamtschuldnerisch.
3. Asset Deal:
Anders beurteilt sich die Lage beim Erwerb der das Zielunternehmen bildenden Vermögensgegenstände (assets). Hier haftet der Käufer als Rechtsträger des Zielunternehmens für neue und fortdauernde Verstöße. Dieses Ergebnis stellt den Käufer bei der Wahl eines asset deals vor erhebliche Haftungsrisiken. Zugleich läuft die Rechtslage der eigentlichen Intention dieser Transaktionsform - einer weitgehenden Minimierung von Haftungsrisiken - entgegen. Diese Schlussfolgerung resultiert aus der Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof nicht auf die Kontinuität des Rechtsträgers, sondern auf die wirtschaftliche Kontinuität abstellt.
III. Ziele der Compliance Due Diligence:
Haftungsrisiken können bereits durch das Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter ausgelöst werden. Eine Compliance-bezogene Due Diligence bildet die Grundlage zur Ermittlung Compliance-relevanter Sachverhalte im Rahmen von Akquisitionsmaßnahmen. Sie ermöglicht es unter anderem, die oben dargestellten Haftungsrisiken zu lokalisieren und im weiteren Transaktionsverlauf so weit wie möglich zu beseitigen. Damit bildet die Compliance Due Diligence einen wichtigen Bestandteil zur Umsetzung der Akquisitionsstrategie. In der Literatur wird ihr Untersuchungsrahmen bislang oftmals nur rudimentär beschrieben. Dieser ergibt sich jedoch aus der Zielrichtung der Due Diligence unter Bezugnahme auf das kartellrechtliche Risikopanorama.