Textprobe:
Kapitel 4.2 Historische Auseinandersetzung mit dem Angstbegriff und Erkenntnisse daraus für den Film:
"Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie." (Kästner 1957: o.S.).
Neben Gefühlen wie Freude, Trauer, Scham und Wut ist die Angst ein lebensbegleitendes Grundgefühl, das je nach Lebensinhalt mit unterschiedlichen Inhalten ausgestattet wird. Platon und Aristoteles bezeichnen dagegen die Furcht als psychische Antwort auf eine Aktion, wobei Aristoteles sie als körperliche Empfindung einstuft. (Vgl. Stangl 2013: o.S). Sigmund Freud dagegen geht davon aus, dass sich die Angst durch das Erleben einer Urangst entwickelt, die während des Geburtsakts zum ersten Mal auftritt. Daraus entwickeln sich alle anderen Ängste. Das Verdrängen von Emotionen führt hierbei zur Ausbildung von Ängsten und Phobien (vgl. Tuczay 2008: 230). Sprachwissenschaftlich gesehen kommt das Wort Angst aus dem Lateinischen: "Angustus" bedeutet so viel wie Beengtheit oder Enge, "angor" bedeutet Würgen, Beklemmung und "angere" dagegen die Kehle zuschnüren, das Herz beklemmen. Im Griechischen findet sich das Wort "agchein", das mit den Worten würgen, drosseln, sich ängstigen gleichgesetzt wird. (Vgl. Stangl 2013: o.S).
Das Angstempfinden ist somit eine Grundvoraussetzung damit der Horror seine Wirkung entfalten kann. Neben verschiedenen Urängsten (wie etwa der Kastrationsangst bei Männern, Angst vor dem Verlust der eigenen oder einer nahestehenden Persönlichkeit) gibt es noch eine Unzahl anderer Ängste beziehungsweise Phobien, wie vor Höhe, engen Räumen, Spinnen und Menschenmassen. Letzten Endes sind das aller-dings keine Ängste, die der Horrorfilm sich zunutze machen kann, um beim Zusehen-den Angst auszulösen. (Vgl. Aster 1999: 22). Nach vergeblicher Recherche nach einer Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Ängsten, die man mit einem Film beim Zusehenden hervorrufen kann und den oben beschriebenen anderen Ängsten, erschloss sich für die Autorin dieser Arbeit folgende Abgrenzung: Damit Ängste durch einen Horrorfilm beim/bei der ZuschauerIn ausgelöst werden können, müssen diese aus einer Situation heraus entstehen, auf die der Zusehende keinen Einfluss nehmen kann. So kann er/sie zwar Höhe und Enge vermeiden, die Begegnung mit "Fabelwesen" aller-dings nicht.
Zeitgleich mit den Rationalisierungsbestrebungen des 12. Jahrhunderts wird in theologisch-philosophischen Einrichtungen versucht, die Angst als essentiellen Bestandteil des Menschen zu reflektieren, sowie ihre Erscheinungstypen zu unterscheiden und psychologisch angemessene Bewältigungsformen darzulegen. Wobei schon damals festgestellt werden musste, dass es keine gut funktionierende Bewältigungsstrategie der Angst vor Widernatürlichem gibt. Gegenspieler war die mittelhochdeutsche Epik, die seinerseits den Menschen als perfektes, angstloses Wesen darstellte (Vgl. Tuczay 2008: 226).
Evolutionsgeschichtlich gesehen ist die Angst essentiell, da sie vor Gefahren warnt und die Sinne schärft. Adrenalin wird ausgeschüttet, um eine angemessene Reaktion auszulösen, die vor schwerwiegenden Folgen schützt (vgl. Stangl 2013: o.S.).
Übertragen auf den Horrorfilm und somit auf die Begegnung mit Ungewissem hat der Mensch allerdings keinen natürlichen Reflex der Verteidigung abgespeichert.
Horrorschauplätze der Neuzeit sind Verließe, alte Schlösser und verlassene Häuser, die im Mittelalter reell vorkamen und somit damals nicht für Beunruhigung sorgten; heute allerdings ist es in unserem Kulturkreis weit verbreitete Annahme, dass sich dort die toten Wesen der Vergangenheit umhertreiben. (Vgl. Tuczay 2008: 222).
Der wirkliche Thrill eines Horrorfilms ist demnach eine Lust der ZuschauerInnen an der Angst. Die Lust an der Angst ist übertragen auch eine Sehnsucht nach Neuem. Diese Sehnsucht ist verbunden mit der Unzufriedenheit der Menschen an den alltäglichen Dingen, die sie lange im Leben begleiten und dadurch auf bestimmte Art langweilen. (Vgl. Roloff/Seeßlen 1980: 19).
Kapitel 4.3 Emotionen im Film:
"Die Werke des Horrors sind nicht vorstellbar ohne Menschen, die Angst und Furcht empfinden, und Auslöser, die dafür verantwortlich sind." (Baumann 1989: 224).
Um den Zusammenhang von Medien und Emotionen genau zu untersuchen, müssen mindestens drei Elemente berücksichtigt werden: Der Aufbau des Medienangebots, die Emotionen der RezipientInnen und die systematischen Verbindungen dazwischen. Viele ForscherInnen sind sich weitestgehend darüber einig, Emotionen als mehrdimensionale Prozesse mit verschiedenen Komponenten zu verstehen. Wenn eine Emotion erlebt wird, wird ein Zusammenhang zwischen Kognition, Körpervorgängen, Empfindungen, Bezugsgegenständen, Ausdrucksweisen und Verhaltenstendenzen hergestellt. (Vgl. Bartsch/Eder/Fahlenbrach 2007: 10f.). Sie beruhen auf angeborenen Grundlagen durch die Erweiterung mit kulturellen und erziehungsbedingten Werten.
Um die Gefühle in einem Horrorfilm nachempfinden zu können, muss das Dargestellte so realistisch sein, so dass es wahr sein könnte und den/die RezipientIn selbst betreffen könnte. Die Zusehenden wohnen in diesem Moment zwar dem Geschehen bei, jedoch tief im Inneren wissen sie, dass alles nur Fiktion ist (vgl. Baumann 1989: 71, Carroll 1990: 53). "Deshalb entfalten Furcht einflößende Filme eine ganz besondere Wirkung, wenn sie mit einer wirklichkeitsbezogenen Botschaft operieren oder aus einer sehr realitätsnahen Situation heraus entwickelt werden." (Maiwald 2007: o.S.).
Tan geht, wie auch andere PsychologInnen, davon aus, dass die Emotionen, die bei der Rezeption von Filmen entstehen, in einem funktionalem Zusammenhang mit Kognition und Motivation stehen. Der Spielfilm ist demnach ein Stimulussystem, das die Zuschauenden dazu motiviert, das Dargestellte zu bewerten und sich zu fragen, ob der Film eine angemessene psychische Haltung im Sinne einer passenden Handlungstendenz besitzt. (Vgl. Vonderau 2007: 157f.). Emotionen werden dabei nicht nur von Figuren und Charakteren angeregt, sondern auch von narrativen und ästhetischen Gestaltungsmitteln (vgl. Mikos 2008: 32).