Am Himmel türmten sich pechschwarze Wolken, Donner grollten, Blitze zuckten und es regnete in Strömen. Zudem peitschten eisige Windböen den Regen in das Gesicht des einzelnen Reiters, der sein Pferd antrieb, als wären sämtlich Dämonen der Hölle hinter ihm her. Bei diesem Wetter jagte man normalerweise nicht einmal einen Hund vor die Tür, aber das Wetter war im Moment Kenneth geringste Sorge.
Er musste sich beeilen, wenn es nicht sogar bereits zu spät war. Das, was er von den Bewohnern des Dorfs gehört hatte, hatte auf jeden Fall nicht gerade nach etwas geklungen, was seine Stimmung hätte heben können. Er war ein solcher Narr gewesen.
Wie hatte er nur annehmen können, dass Blut dicker als Wasser wäre? Aber vielleicht galt das ja tatsächlich nur in Bezug auf das Blut seines Großvaters, das durch die diversen Adern der Zweige seiner Familie floss und dessen direkte Nachkommen sie alle waren. Aye, doch es gab auch Ausnahmen. Durch vor Gott geschlossenen Verbindungen, die noch dazu standesgemäß oder von Vorteil waren, wurden Gemahlinnen gemeinhin in den Kreis aufgenommen, da sie dafür sorgten, dass die Blutlinie erhalten blieb. Seine Vettern waren diesbezüglich äußerst gewissenhaft gewesen. Nicht so er. Er war das schwarze Schaf der Familie, der eine Gemahlin unter Stand und zudem noch ohne vorteilhafte Verbindungen zu einem anderen Clan erwählt hatte. Er hätte merken müssen, dass er dadurch den Zorn aller auf sich und seine Frau gezogen hatte. Dass er ein Tor gewesen war, war, gelinde gesagt, noch untertrieben. Seine Einsicht kam allerdings ein wenig spät, wenn er Duncans Worten Glauben schenken wollte.
Kenneth war weder Richter, wie sein Vetter George, noch Earl of Seaforth, wie sein anderer Vetter, der ebenfalls Kenneth nach seinem Großvater hieß. Dennoch kam es nicht zu Verwechselungen, denn im Gegensatz zu seinem Vetter war er mit den MacKenzies nur durch seine Mutter verbunden und trug deshalb auch den Namen seines Vaters: Sinclair. Dessen ungeachtet hasste Kenneth es, mit diesem ständig verglichen zu werden, denn so untadelig, wie sein Vetter von einem Großteil seiner Familie vor dem Rest der Welt dargestellt wurde, war er bei Weitem nicht. Genauso wie George, der als Richter der Krone die Urteile in diversen Hexenprozessen gefällt hatte und immer noch fällte. Kenneth schüttelte unbewusst den Kopf.
Hexen! Aye, der Aberglaube war allgegenwärtig in Schottland, aber an der Existenz von Hexen zweifelte er dennoch. In seinen Augen war all die Angst, die in Bezug auf diese landein und -auswärts geschürt wurde, nur Mittel zum Zweck, um unbequeme Zeitgenossen, vor allem Frauen durch fadenscheinige Vorwürfe loszuwerden.
Allein schon der Gedanke an all das Unrecht, was im Namen Gottes geschehen war und jetzt wieder geschah, jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Vor allem, wenn er bedachte, dass sein Vetter bei all dem eine nicht gerade unerhebliche Rolle gespielt hatte. Und genau das war es, was ihm im Augenblick mehr als alles andere zu schaffen machte. Wenn sein Gefühl ihn nicht trog, dann war durch sein unbedarftes Handeln das Leben der Frau, die er mehr als sein eigenes Leben liebte, in ernsthafter Gefahr. Er hätte niemals mit den MacKenzies brechen dürfen, hätte gute Miene zum bösen Spiel, um Gras über das Gesagte wachsen zu lassen, machen und dann seinen Vater um Beistand bitten sollen. Doch sein Stolz hatte ihn wieder einmal dazu gebracht, die Ernsthaftigkeit der Lage zu unterschätzen und mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Er konnte nur hoffen, dass es nicht bereits zu spät war, um zu Kreuze zu kriechen und das Schlimmste abzuwenden.
Kenneth trieb sein Pferd immer schneller an. Inzwischen konnte er bereits die Silhouette von Edinburgh Castle, das oberhalb der Stadt auf dem Castle Rock thronte, am Horizont erkennen. Der Castle Rock! Fluch und Segen zugleich. Segen für die Bewohner des Schlosses, die dort vor feindlichen Angriffen relativ geschützt ihr Leben genießen konnten und Fluch für diejenigen, die in die Klauen seines Vetters geraten waren. Für die meisten von ihnen war der nackte Felsen und die Burg das letzte, was sie in ihrem Leben sahen. Insbesondere für diejenigen, die der Hexerei angeklagt waren. Unterhalb des Schlosses am Fuße des Bergs befand sich ein kleiner See, oder vielmehr, wenn man es genauer betrachtete, eine Kloake, die dazu diente, die Hexenprobe durchzuführen. Gingen die vermeintlichen Hexen unter, waren sie unschuldig. Konnten sie jedoch darin schwimmen, wurden sie erwürgt und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Egal wie man es drehte und wandte, beides hatte immer dieselbe Folge: Die Delinquenten starben eines grausamen Todes, denn auch das Ertrinken in einer stinkenden Brühe war in Kenneth Augen nicht gerade eine friedliche Art und Weise, sein Leben auszuhauchen.
Alles hatte damit begonnen, dass Jacob I. von England, der gleichzeitig auch Jacob VI. von Schottland und zudem Maria Stuarts Sohn gewesen war, ein strengeres Hexengesetz erlassen hatte. Seine Warnungen vor einer Verfolgung aufgrund von falschen Anschuldigungen waren allerdings letztendlich besonders in Schottland auf taube Ohren gestoßen.
Es hatte Hunderte Prozesse gegeben. So lange, bis unter dem Lordprotektor Oliver Cromwell die schottischen Ankläger schließlich gegen englische ausgetauscht worden waren. Das hatte zur Folge, dass es während seines Protektorats allen Bezichtigungen zum Trotz nur zwölf Hinrichtungen gegeben hatte.
Kenneth konnte sich noch gut an diese Zeit erinnern. Seine Jugend! Damals hatte sich niemand davor fürchten müssen, von neidischen Nachbarn grundlos denunziert zu werden und deshalb auf dem Scheiterhaufen zu enden. Jetzt allerdings .
Nach Cromwells Tod hatte sich das schlagartig geändert. Sein Sohn war nach nur etwas mehr als einem halben Jahr als Lordprotektor vom Parlament abgesetzt und stattdessen Karl II. als Wiederbelebung der Monarchie auf den Thron gesetzt worden. Von diesem Zeitpunkt an wurden England und Schottland separat verwaltet. Demzufolge waren auch wieder schottische Ankläger und Richter eingesetzt worden, was zur Folge hatte, dass es erneut zu Prozessen und Verurteilungen gekommen war. Der Aberglaube hatte die Oberhand gewonnen, sodass niemand mehr sicher war.
Inzwischen tobte dieser Irrsinn bereits seit mehreren Wochen. Es gab kaum einen Tag, an dem nicht irgendwo in Schottland ein Feuer loderte, in dem eine arme Seele ihr Leben aushauchte. Oftmals sah man die Flammen bereits aus der Ferne lodern, denn die Schauspiele fanden meist in der Abenddämmerung statt.
Kenneth trieb sein Pferd zum wiederholten Male an. Allmählich ließ das Unwetter nach und die Wolken am Himmel brachen auf, sodass sie den Blick auf die untergehende Sonne freigaben. Er seufzte leise, als er endlich in der Abenddämmerung den Fuß des Castle Rock erreichte, sein Pferd zügelte und absaß.
Schon von Weitem konnte er das Gemurmel und unflätige Schreie hören, die von dem kleinen See aus zu ihm herüberwehten. Beim Näherkommen konnte er auch sehen, woher sie rührten. Am Ufer des Tümpels hatte sich eine Menschentraube gebildet, die lauthals eine Hexenprobe mit ihrem Geschrei unterstützte. Kenneth Herzschlag setzte für einen Moment aus.
Hoffentlich trog ihn sein Gefühl, denn wenn nicht .
Unbewusst beschleunigte er seine Schritte so lange, bis er förmlich rannte. Doch je näher er der Szenerie kam, desto unruhiger wurde er. Schließlich konnte er sehen, wie einige der königlichen Wachen unter den aufmunternden Zurufen der Menge wie in einer Prozession eine in Lumpen gekleidete, gefesselte Frau zum Ufer zerrten.
Megan, schoss es ihm sofort durch den Kopf. Auch wenn er sie aus der Entfernung noch nicht richtig erkennen konnte, so wusste er dennoch, dass sie es war. Obwohl sie verdreckt war und man sie offensichtlich bereits verhört hatte, wehrte sie sich nicht, sondern ließ sich hocherhobenen Hauptes an der Menge vorbei zum Ufer führen. Während ein sogenannter Diener Gottes hinter ihr her lief und sie permanent mit Weihwasser bespritze.
Das konnte und durfte nicht wahr sein. Er musste zu ihr.