Salamanca wird uns bald allen das Genick brechen!", Marten haute mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Eisensteher zitterte. Es hätte nicht viel gefehlt und der brennende Kienspan wäre aus der Halterung gerutscht, um ungebremst auf die Holzplatte zu fallen. Hastig griff Gregori nach der einzigen Lichtquelle und steckte das flache Spanstück fest.
Barsch fuhr er Marten an: "Das wissen wir selber auch. Du brauchst nicht das ganze Haus in Brand zu stecken!" Der gerügte Bauer verzog das Gesicht zu einer Grimasse und bedachte Gregori mit einer obszönen Geste. "Schluss jetzt!" Der schroffe Befehl genügte, um die zwei Streithähne zur Ruhe zu bringen. Der alte Veit war eine unangefochtene Autorität unter den Bergbauern. Bei den jährlich stattfindenden Ehafttaidings in Erlespach war er derjenige, der es immer wieder zu Wege brachte, die kleine Gemeinschaft auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Rund zwanzig Dickschädel zu kollektiven Entscheidungen zu bringen war eine Meisterleistung. Vor allem bei der beträchtlichen Anzahl von Gemütern eher unbeherrschter Natur auf der Versammlung.
Keiner wusste so recht, wie alt dieser Rechtsbrauch schon war, doch die Nutzung der Almende, gegenseitige Nachbarschaftshilfe und die Einhebung der Steuern mussten in regelmäßigen Abständen besprochen werden. Darüber hinaus schuf das Taiding eine Verbindung zwischen den Gemeindegenossen, auch wenn sich das Gebiet der Oberrotte im Defereggental über eine ganze Tagesstrecke hinzog und sich die meisten Bewohner kaum mehr als zwei Mal im Jahr begegneten.
Veit von der Oberladstatt sah streng in die Runde. Die Zeiten hatten sich geändert und nicht zum Guten. Seit dem Tod von Kaiser Maximilian I. vor zwei Jahren war kein Stein auf dem anderen geblieben. Sein Nachfolger Erzherzog Ferdinand hatte ausreichend klar gestellt, dass er den Schuldenberg von sechs Millionen Gulden nicht zu übernehmen gedachte - für einen Großteil sollte das Land Tirol aufkommen. Damit war aber nicht ein Griff in die Kassen der Burgherren und reichen Kaufleute gemeint, sondern eine empfindliche Erhöhung der Abgaben und beträchtliche Einschränkungen bei der Nutzung der Wälder für die Bauern. "Wir alle haben den Spanier als raffgierigen und herzlosen Despoten kennen gelernt." Veit seufzte. "Doch können wir uns auch alle noch gut daran erinnern, was uns die Steuerverweigerung vor zwei Jahren eingebracht hat." Ein zustimmendes Raunen ging durch die versammelten Männer.
"Dem Herrn Generalschatzmeister ist es vollkommen gleichgültig, ob die Ernte gut ausgefallen ist oder der Hagel alles vernichtet hat." Wieder begehrte Marten auf, doch diesmal traktierte er den Tisch nicht.
"Nicht nur das. Jeden gefällten Baum müssen wir melden und Fische fangen dürfen wir auch nicht mehr." Jörg, der wie Marten von einem der Schwaighöfe in Erlespach kam, meldete sich zu Wort. "Es fehlt nicht viel und Salamanca führt die Leibeigenschaft wieder ein."
Einige der Männer schnappten entsetzt nach Luft. Erneut wollte ein Tumult ausbrechen, den der Oberladstätter energisch unterdrückte. Diesmal war es seine Hand, die auf den Eichentisch niedersauste. "Solche Reden bringen uns nicht weiter." Er schenkte Jörg einen finsteren Blick. "Wenn du nichts Besseres zu sagen hast, dann halt deinen Mund."
Als Jörg wieder zum Reden ansetzte, fiel ihm Veit ins Wort: "Denen in der Großrotte geht es auch nicht besser. Du hast nicht die geringste Ahnung, was es bedeutet, auf das Freistiftrecht angewiesen zu sein."
Einige Minuten lang zog der alte Oberladstätter an seiner Pfeife und sagte nichts. Der Erlespacher schwieg betreten. Er hatte sehr wohl schon davon gehört, dass die meisten Höfe in Osttirol jedes Jahr von Neuem der Gnade des Grundherrn ausgeliefert waren. Auf dem Bautaiding am Tag des Sand Görigen wurde darüber verfügt, ob eine Familie bleiben durfte oder abgestiftet wurde. Nur allzu oft waren Missstände und Verarmung auf diesen Wirtschaften die Folge. Was sollte man sich auch schon aufbauen können ohne Zukunftsaussichten?