Der Trieb feiert den Moment, das Unwiederbringbare, jenes "Gesetz des Animalischen, wonach die Reizstärke mit ihrer Wiederholung abnimmt" (Lou Andrea Salome).
Die Fotografie feiert das Festhalten, das Zurückholen des Moments.
Die Arbeit an meiner aktuellen Diageschichte "Hermana mia!" begann mit zwei Frauen, die ich beim Fotografieren einer Serie kennen gelernt hatte. Beim Betrachten der Vergrößerungen spürte ich eine Aufregung, die ich schon bei den Aufnahmen bemerkt hatte. Es gab eine starke körperliche Anwesenheit, die Umarmung wünschte. Und es gab ein Misstrauen, das alte Verletzungen zeigte, was immer schnell mit Charme und Posen der Natürlichkeit überspielt wurde. Vieles davon kam mir erschreckend bekannt vor. Auf den Fotos schaute ich sie an und sah mich.
Das erinnerte mich daran, als mich vor Jahren meine kanarische Freundin das erste Mal "meine Schwester" nannte. Damals war ich ziemlich irritiert. Es klang wie ein Mythos aus einer tief emotionalen Welt, die ein Geheimnis birgt.
Ähnlich nachdenklich und fragend wie Nastassja Kinski als Irene in Paul Schraders "Katzenmenschen" hatte ich reagiert. Eine exotische Fremde hatte ihr gerade zwei spanische Wörter zugeraunt, bevor diese zurück ins Nichts verschwand.
Die Übersetzung von Irenes Begleiterin Alice kam sachlich, beiläufig: "Meine Schwester.", aber in diesem Augenblick wurde Irene aus ihrem Einzelschicksal entlassen. Die zwei Worte verrieten, dass Katzenmenschen überall sind. Es kann immer und irgendwo auf der Welt sein, dass jene Wesensverwandtschaft plötzlich erkannt wird.
Der spanischen Titel "Hermana mia!" für meine Diageschichte hat deswegen einen doppelten Grund.
Das Wiedererkennen beim Fotografieren gab mir die Chance, mich selbst von außen zu sehen. Auch das, was ich an mir nicht so ganz genau sehen wollte. Neben der lockenden die quälende Seite.
Die eine der beiden Frauen war meine "weiße Schwester". Sie suchte Ruhe und Verehrung in der Leichtigkeit, beispielsweise im Tanz. Die andere, die "schwarze Schwester", lebte dagegen eine traurige Schwere. Sie fand ihren Halt im Beweisen ihrer Furchtlosigkeit. Egal, ob sie sich in einem Männer-Beruf behauptete oder in wackliger Höhe schwindelfrei und leichtfüßig bewegen konnte.
Später kamen weitere Gedanken und Beobachtungen hinzu, Aufnahmen mit anderen Frauen folgten. Die Kraft des Ausbruchs, freiwilliger und umfreiwilliger Gehorsam, der große Wille, der oft die "schmutzigen" Instinkte unterdrückt, um das reine Weiß vorzutäuschen, all das interessierte mich bei "Hermana mia!" sehr.
Im Film "Katzenmenschen" geht es ebenfalls um sich zuwiderlaufende Extreme, wie Liebe und Zerstörung, Naivität und Getriebenheit, Leben und Tod. Um die große Angst vor dem, was im Innern wohnt, und oft mächtiger ist jede Vernunft. Der Film beschreibt dies aus der Außensicht, meine Diageschichte wurde ein Selbstporträt.
Brigitte Tast
Sprache
Verlagsort
Editions-Typ
Illustrationen
10
10 s/w Photographien bzw. Rasterbilder
5 Fotopostkarten, 1 Plakat
Maße
Höhe: 25 cm
Breite: 17.5 cm
Gewicht
ISBN-13
978-3-88842-203-4 (9783888422034)
Schweitzer Klassifikation
Brigitte Tast
Brigitte Tast (1948) is a German photo artist and university lecturer. She studied graphic design in Hildesheim and film in Braunschweig, and was a lecturer of artistic photography at Stiftungsuniversität Hildesheim in 2012 to 2013. Since the 1970s, Tast has often produced quite narrative photo projects. The development of a specific format, the Diageschichten (slide stories) allows her to be in direct contact with her audience. Her works have been exhibited internationally, and her Diageschichten performed in galleries, cinemas and festivals in numerous countries. Brigitte Tast lives and works near Hildesheim.