Leseprobe aus: »Tanzen im Club« von Greta Taubert
Am Anfang einer durchfeierten Nacht steht häufig nur ein einziges Wort in einer Kurznachricht: »Tanzen?«. Jemand hat dir diese erstmal ziemlich unscheinbar wirkende Ein-Wort-Frage geschickt und wartet auf Antwort. Aber was steckt dahinter? Wenn nach »Tanzen?« gefragt wird, dann meint das meiner Erfahrung nach nur zu einem kleinen Teil rhythmisches Bewegen auf der Tanzfläche. Es ist eine Chiffre. Aber wofür?
Ich wurde gebeten, einen Text über das Tanzen im Club zu schreiben, weil ich mir in den vergangenen zwanzig Jahren offenbar eine gewisse Reputation als »Feiermaus« erarbeitet beziehungsweise eben nicht erarbeitet habe. Erst war ich mir nicht sicher, ob ich mit diesem Label in die Kulturgeschichte eingehen möchte, aber andererseits ist es ja auch etwas Schönes. In der Philosophie wird das Dionysische seit Anbeginn der Menschheit als die schönste aller menschlichen Verbindungen gefeiert. Selbst Melancholiker wie Friedrich Nietzsche loben den Zauber, der entsteht, wenn sich Mensch und Menschen im Rausch des Tanzes vereinen. »Jetzt ist der Sklave freier Mann, jetzt zerbrechen alle die starren, feindseligen Abgrenzungen, die Not, Willkür oder freche Mode zwischen den Menschen festgesetzt haben.« Wer das nicht gut findet, der sei zu bemitleiden. Cheers, Friedrich.
Also zugegeben: Ich kenne mich mit Tanzveranstaltungen aus. Von der thüringischen Kleinstadt-Disse aus meiner Jugendzeit bis zum osteuropäischen Techno-Schuppen meiner Studienzeit, von der Kinky-Party im Glitzerbody in Berlin als junge Erwachsene bis zum illegalen Underground-Rave in Leipzig habe ich das hedonistische Heititei der vergangenen zwanzig Jahre als teilnehmende Beobachterin studiert. Hedonismus hat keinen guten Ruf unter Intellektuellen, dabei ist es seit Epikur im Grunde ein mögliches Prinzip des gelingenden Lebens. Der Weg zum Glück führt im Hedonismus nicht durch Schmerz oder Seelenruhe, sondern durch die Lust. Und auf der doch oft recht ruckeligen Route durch das Leben habe ich festgestellt, wie viel Kraft im hedonistischen Handeln liegt - und damit meine ich nicht den persönlichen Lustgewinn, der immer nur Ich-ich-ich ruft. Es geht darum, die entstehende Explosion der Freude auch an andere weiterzugeben. Besonders in politisch polarisierten, ernsten, schwierigen Zeiten braucht es Rituale des Freudigen, Ekstatischen, die die Welt verzaubern. Das Gute benennen, die Schönheit feiern, die Gemeinschaft stärken. Die moderne Welt, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han, leidet vor allem darunter, dass der Neoliberalismus die sozialen Bindungen untereinander kaputt gemacht hat. Sie brauche eine »Wiederverzauberung«. Mittlerweile veranstalte ich selbst mit Kollektiven immersive Festivals, um Menschen mit Schönheit zu rüsten. Aber zurück zur Frage.
Wenn du nach »Tanzen?« gefragt wirst, steckt dahinter eine Aufforderung. Da streckt jemand die digitale Hand nach dir aus und möchte ausgeführt werden, in die wilde Nacht. Und da fängt es bereits an, kompliziert zu werden. Wo findest du die Party, die am besten zu dir, deiner Begleitung und deiner Stimmung passt?