Textprobe:
Kapitel 3.2, Cinematic narrator; Erzählfunktion; Fokalisator:
Kennzeichnend für den Film ist die 'Kopräsenz narrativer Instanzen'. Laut Schweinitz sind dabei die verschiedenen narrativen Instanzen einer zentralen, impersonalen, narrativen Instanz untergeordnet. Diese ist 'als dem jeweiligen Film implizite, die Erzählung organisierende Kraft zu verstehen, die ebenso wie der literarische Erzähler über alle Ausdruckskanäle ihres Mediums verfügt.' Er betont, dass darunter der auditive Kanal, welcher die Sprache, Geräusche und Musik umfasse, als auch der visuelle Kanal, welcher das bewegte und sich bewegende Bild sowie die Montage beinhalte, falle. Chatman nennt diese narrative Instanz 'cinematic narrator' und definiert sie als 'a composite of a large and complex variety of communicating devices.'
Der cinematic narrator ist damit nicht mit einem literarischen Erzähler gleichzusetzen. Er lässt sich eher mit dem Autor vergleichen, den Satre wie folgt beschreibt (obwohl er sich auf die Literatur bezieht): ' (Satre, Notes, S.774).' Selbst der filmische Voice Over Erzähler hat demnach nicht den Status eines literarischen Erzählers. Er ist vielmehr ein Werkzeug des cinematic narrators und Teil der Erzählfunktion.
Der Begriff 'Erzählfunktion' wurde von Käte Hamburger geprägt und kann als Synonym für Erzählinstanz, Vermittlungsinstanz oder Stimme (Genette) gebraucht werden. Die Erzählfunktion muss weder als eine bestimmte Person definiert werden, noch ist sie verpflichtet, sich an Raum und Zeit zu binden. Löschner fasst Hamburgers Ansatz wie folgt zusammen:
Der empirische Autor tritt nicht als Aussagesubjekt auf. Die Sprechhaltung der Fiktion bedingt laut Hamburger ein Verschwinden des Aussagesubjekts. Durch dieses Verschwinden (und damit das Fehlen einer Anbindung an ein empirisches Subjekt) wirkt der existenzielle Gehalt des Sprachgebildes 'erzeugend'. Der Text erzeugt nun - scheinhaft - zweierlei: er vermittelt das Erleben eines fiktiven Subjekts und er schildert die äußeren Bedingungen von dessen Existenz. Der Text erzeugt, wovon er handelt - 'keiner spricht'.
Vom cinematic narrator und der Erzählfunktion sollte noch eine weitere Instanz unterschieden werden: die Fokalisierungsinstanz. Jörg Schweinitz führt die von Genette vorgeschlagenen Unterscheidung der 'narrativen Instanz vs. der Fokalisierung' bezogen auf den Film weiter aus. Er definiert die narrative Instanz als den Erzähler, nach dem wir mit 'Wer teilt mit?' fragen. Die Frage nach der Fokalisierung oder des Fokalisators muss hingegen lauten: 'Wer erlebt?, oder: Die Erlebnisperspektive welcher Figur wird narrativ repräsentiert?' Es kann die persönliche (figurengebundene) von der unpersönlichen (nicht figurengebundenen) Fokalisierungsinstanz unterschieden werden. 'Die unpersönliche Fokalisierungsinstanz ist im weitesten Sinne mit einer allwissenden Erzählinstanz vergleichbar. Sie gilt üblicherweise als die objektive Vergleichsfolie, vor deren Hintergrund erzählerische (d.h. verbale) Unzuverlässigkeit erkennbar wird.'
Kennzeichnend für die Fokalisierungsinstanz ist, 'dass man die Motivlage und den Wissensstand einer Figur Schritt für Schritt kennenlernt, privilegiert deren emotionales Erleben nachvollziehen kann und die Handlungsereignisse auf die Interessen der Figur bezieht.' Speziell auf den Film bezogen verstehe man nach Schweinitz unter Fokalisierung nicht nur die Erlebnisperspektive, welche handlungslogisch entwickelt werde, sondern auch die Wahrnehmungslogik, unter der die visuelle Wahrnehmungsperspektive (welche im Film bildlogisch repräsentiert werde) als auch die tonlogische Fokalisierung zu verstehen sei. Er spricht hier von einer 'doppelten Fokalisierung des Films'.
In einer Fußnote führt Schweinitz weiter aus, dass nur in der internen Fokalisierung von einem '>Fokalisator< oder einer >Fokalisatorfigur<' die Rede sein kann, nämlich da, 'wo die Narration ihre Adressaten an der Erlebnisperspektive einer Figur, an deren handlungsrelevantem Wissensstand und Motivlage teilhaben lässt'. Die interne Fokalisierung liegt also dann vor, wenn die Erlebnisperspektive einer Figur mit der Kameraperspektive identisch ist. Dies kann praktisch durch die Technik der subjektiven Kamera, welche sich des Point-of-View-Shots bedient, geschehen, oder durch ein Mindscreen. Das Mindscreen kommt meistens bei der Realisierung von Träumen, Erinnerungen, Phantasien oder Wahnvorstellungen zum Einsatz und wird häufig 'durch den Übergang von Farbe zu Schwarzweiß, durch Überblendungsverfahren, durch eine spannungserzeugende Musik oder auch durch eine Großaufnahme auf das Gesicht der sich erinnernden bzw. träumenden Figur eingeleitet.' Der Unterschied zur subjektiven Kamera liegt darin, dass der Protagonist im Bild zu sehen ist. Das ermöglicht es, dem Zuschauer eine objektive Perspektive zu suggerieren, indem der Mindscreen nicht markiert wird.