Anfang des 1. Kapitels
Der letzte Salteikis aus Salteikiai
Die Beerdigung
»Vilius, Vilius!«
Karaliene stand am Hoftor und sah sich um. Kein Mucks von Vilius. Und auch sonst rundherum Stille. Beim Stall standen die Knechte herum, taten so, als würden sie das Pferdegeschirr putzen oder die Strohreste auf dem Stallvorplatz zusammenrechen. Im Sägemehl scharrten die Hühner, hinter den Weidensträuchern sonnten sich die Junggänse. Zwischen den Pfosten des Gartenzauns schoss hin und wieder ein Küken hindurch. Bienen summten auf dem Rückweg vom Feld an Karalienes Ohr vorbei, flogen zum hinteren Ende des Gemüsegartens, auf einem trockenen Ast des Apfelbaums ließ sich ein paar Mal eine Drossel hören.
Von Karalienes Rufen verärgert, gurrte der Truthahn, der unmittelbar neben ihr stand, beleidigt und lief hochrot an. Als er schließlich niemanden fand, den er hätte angreifen können, plusterte er seine Federn auf und stolzierte in die Mitte des Hofes.
»Den Puter hätte man unbedingt einsperren sollen. Jetzt wird er den ganzen Tag lang herumlamentieren«, meinte Karaliene und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Aber da fiel ihr ein: Sie hätte ja beinahe den Hemdärmel beschmutzt. Der Tag war warm, man könnte fast sagen, heiß, und es geziemte sich nicht, mit einer schmucken bunten Joppe herumzuspazieren. Deshalb hatte sie am Morgen ein festliches Kleid aus gekauftem Leinen angezogen, das nur für besondere Gelegenheiten bestimmt war.
Karaliene stellte einen Korb mit kleingeschnittenen Kalmus-Blättern und Tannenzweigen auf den Boden und griff nach der Schürze. Aber die war aus schwarzer Seide. Dann steckte sie die rechte Hand in die bunt bestickte Tasche, die unter der Schürze hervorlugte, und als sie auch dort nichts fand, kam ihr wieder in den Sinn, dass sie das Schnupftuch unter die Lastingweste gesteckt hatte. Sie zog es hervor und wischte den Schweiß vom Gesicht. Dann strich sie mit der Hand durch ihr dunkles Haar und die Zöpfe, in die grüne Bänder eingeflochten waren, zupfte den Faltenrock und die Schürze zurecht und nahm den Korb wieder zur Hand.
»Bin ich nicht schön, Kathrin?«, sagte jemand auf Deutsch.
Karaliene zuckte kurz zusammen und wandte sich um. Sie hatte gedacht, sie wäre allein. Doch da, am offenen Stubenfenster, stand Ane Tautrimiene und schaute sie an. Sie zupfte sich einzelne Haare aus, zerzauste ihren Schopf aber dabei nur immer mehr. Ihr Haar war ebenso dunkel wie Karalienes. Nur war Karalienes noch feucht und zur Schläfe hin gekämmt. Es sah aus, als wäre es verklebt, und glänzte in der Sonne.
Die beiden Frauen sahen einander ähnlich. Ovales Gesicht, ähnliche Nase - stimmt, bei Karaliene mit einem kleinen Buckel. Beider Augen waren grau. Tautrimiene hatte allerdings noch gesunde Zähne, während bei Karaliene ein Schneidezahn fehlte und die anderen gelb geworden waren. Auch der Teint ihres Gesichts. Bei Karaliene von Natur aus leicht gerötet, jetzt auch noch sonnengebräunt, glänzte es dunkel. Tautrimienes dagegen war milchig weiß. Es wirkte, als hätte es jemand mit Mehl bestäubt. Karaliene wurde den Gedanken nicht los, dass Tautrimienes Gesicht an das einer Kranken erinnerte.
Um die Hüften war Katre Karaliene wenn nicht dick, so doch gut gebaut, Ane dagegen biegsam und dünn wie Schilfgras. Man hätte sie mit beiden Händen umfassen können. Tautrimiene strich sich über die Hüfte und glättete das eng anliegende, schwarze, raschelnde Kleid.
Karaliene konnte den in ihrem Herzen aufwallenden Neid kaum verbergen. Ane ? hatte gut reden. Sie kam aus der Stadt. Hatte nur ein Kind. Was könnte denn ihren Körper verunstalten? Den lieben langen Tag nur Müßiggang, viel Zeit für die Schön- heitspflege. .