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Es war der Sommer des Jahres 1791, als Adelbert aus der behüteten Welt des französischen Hochadels herauskatapultiert wurde und eine etwas andere Perspektive kennenlernte. Er hatte mit seinem Bruder Eugène den Vormittag auf einer Wiese hinter dem Schloss verbracht, als sich eine Wespe auf seiner Nasenspitze niederließ und ihn einfach nicht stechen wollte. Adelbert musste schielen, um ihren wippenden Hinterleib zu erkennen, denn er wollte unbedingt sehen, wie der kleine Stachel in seine Haut eindrang. Er interessierte sich für solche Dinge.
»Verjag sie!«, rief Eugène, aber Adelbert tat das Gegenteil, er drückte mit seinem Zeigefinger auf die Wespe und ärgerte sie, bis er endlich den Stich spürte.
»Tut es sehr weh?« Eugènes untere Gesichtshälfte war mit Spucke verschmiert.
»Hat nur kurz gepiekt.« Auf seiner Nasenspitze wuchs ein roter Hügel, und Adelbert schielte angestrengt, um jede Einzelheit des Kraters zu erkennen und später abzeichnen zu können. Sein Hauslehrer Monsieur Lusignan hatte davon gesprochen, dass die Materie aus winzigen Teilchen besteht, und auf Adelberts Nasenspitze sah es wirklich so aus, als hätte die Wespe einen Teil aus seiner Haut weggenommen.
»Es muss doch wehtun!« Eugène, der noch Mädchenkleider trug, raufte sich vor Sorge um seinen Bruder die Haare, während Adelbert ruhig an dem Krater herumdrückte, bis Blut rauskam. Er leckte das Blut von seinem Finger ab. Monsieur Lusignan meinte, das sei das Typische am Menschen: Ein Mensch sei Materie, die sich für Materie interessiert.
»Das Blut schmeckt nicht anders als sonst.« Diese Erkenntnis enttäuschte ihn, und am liebsten hätte er sich gleich nochmal stechen lassen, aber die Wespe war natürlich fort.
Adelbert hörte seine Mutter rufen. Immer wenn er am Tiefsten in seine Untersuchungen versunken war, rief sie ihn. Aber da seine Schläfen bereits schmerzten, war es vielleicht besser, das Schielen aufzugeben. Schmerz war ein Gefühl, das sich nicht abzeichnen ließ, für das Adelbert aber später Worte in seinem Tagebuch finden wollte.
Er sah seine Mutter in einem reich gerüschten Kleid zur Treppe kommen, neben ihr stand die Kutsche. Wollten sie verreisen? Im Gehen holte er sein Heft und den Bleistift hervor, um seine Erfahrung mit der Wespe zu notieren. Warum tat der Wespenstich nicht weh? Verhinderte die gedankliche Konzentration auf den Stich den Schmerz? Er musste so etwas immer sogleich aufschreiben, bevor er es vergaß. Ob es eine besondere Wespenart war, die nur in dieser Gegend lebte? Wie sollte er diese neue Art nennen? Adelbert erfand gern Wörter für Dinge, die er entdeckte, und er fragte sich, ob ihn das mehr zum Dichter oder mehr zum Forscher machte. Sobald er den Namen Vespinae Chamissae ins Heft gekritzelt hatte, meldete sich der Schmerz auf seiner Nasenspitze wie ein notwendiger Tribut für das Wissen und die Erfahrung.