Jeder, auch das Mädchen Isabella, ist Glied in einer Kette von Generationen, verbunden und verknüpft durch weitergegebene, oft unbewusste familienbezogene Vermächtnisse. Eine sogenannte transgenerative oder transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen kann sich auf nachfolgende Generationen auswirken. Unfassbare Erlebnisse rufen bei den Betroffenen Sprachlosigkeit darüber hervor und können innerlich nicht verarbeitet werden. Sie bleiben für immer gegenwärtig, zeigen sich im Verhalten und werden unbewusst auf die eigenen Kinder übertragen. Emotionale Vernachlässigung, Verwahrlosung und Missbrauch im frühen Kindesalter sind Risikofaktoren für die Persönlichkeitsentwicklung sowie für spätere gesundheitliche und psychische Probleme.
Die kleine Isabella erlebte in ihrer Herkunftsfamilie unfassbar Schreckliches. Im 2. Lebensjahr wurde sie das erste Mal in Obhut genommen, mit zweieinhalb Jahren kam sie in eine Pflegefamilie.
Das Pflegeverhältnis scheiterte, als Isabella 14 Jahre alt war, da die zunehmenden Probleme im Sozialverhalten des Mädchens die Familie überforderte. Heute würde man Jungen und Mädchen mit gravierenden sozial-emotionalen Störungen als "Systemsprenger" bezeichnen.
Wie sollte es mit Isabella nach der Herausnahme aus ihrer Pflegefamilie weitergehen? Für welche Hilfeform würde sich das Jugendamt entscheiden? Es gab zwei Möglichkeiten: Heimeinweisung oder die Betreuung in einer sozialpädagogischen Bereitschaftspflege.
Familie Stein nahm Isabella auf. Die neuen Pflegeeltern waren bereit, die schwierige Aufgabe, dem traumatisierten jungen Mädchen positive Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit anderen Menschen mit auf den Weg zu geben, anzunehmen. Würde eine Psychotherapie zur Verhaltensänderung führen?
Der Roman "Bella Isabella - Umbrüche im Leben eines Pflegekindes" widmet sich einfühlsam dem Kinderschicksal und den Herausforderungen, die im Elternhaus und in der Schule zu bewältigen waren.
Rezensionen / Stimmen
Die Geschichte der psychisch schwer traumatisierten Isabella ist lesenswert, ausdrucksstark und der Autorin gut gelungen.
Einfühlsam führt sie den Leser in eine noch wenig bekannte Problematik bei Kindern, welche im Alter von null bis drei Jahren durch lang andauernde, schockierende Belastungen komplexen Traumatisierungen ausgesetzt waren.
Unkenntnisse bei den wichtigsten Bezugspersonen können tragische Auswirkungen auf solche Kinder - wie Isabella - haben. Eltern, Lehrer, Sozialpädagogen und andere wissen vor allem nicht, dass sich bei diesen durch Trigger ungewollte Stressreaktionen im Mandelkern des Gehirns abspielen, die sie nicht selbst steuern können. Das geschieht deshalb, weil die dort gespeicherten, alten Traumaerfahrungen aus der Vergangenheit in die Gegenwart "transportiert" werden, obwohl die aktuellen Auslösesituationen nicht lebensbedrohlich sind. Die Hintergründe für die dann verursachten aggressiven Ausbrüche oder andere motorische Stressreaktionen - wie Flucht - sind den Kindern nicht bewusst und sie können diese nicht mit ihrem Willen beeinflussen, um sie künftig zu verhindern. Auch Appelle an die Vernunft der betroffenen Kinder und aufgestellte Verhaltensregeln helfen nicht.
Die Traumatisierten werden zu sogenannten Systemsprengern, welche nirgendwo integrierbar sind, vor allem, weil sie oft wie "aus heiterem Himmel" andere Kinder oder Erwachsene angreifen. Traumapädagogische Kenntnisse der Bezugspersonen und Traumaverarbeitung durch spezifische Therapien können den Teufelskreis bei sich sonst lebenslang wiederholenden Todesängsten - aus der Vergangenheit - bei diesen Kindern durchbrechen. Ansonsten bleiben deren Entwicklung sowie Lebensqualität ein Leben lang schwer gestört und beeinträchtigt.
Die durch sorgfältige Recherchen treffende Beschreibung der traumabedingten Hintergründe der Entwicklungsstörung bei Isabella macht die Geschichte gut nachvollziehbar sowie spannend und die gewählte Romanform ermöglicht ebenso eine sehr lebensnahe Darstellung. In die Schilderungen über das Schicksal des Mädchens fließen mehrere Einzelschicksale sowie persönliche und berufliche Erfahrungen und Kenntnisse durch zahlreiche pädagogisch-psychotherapeutische Fortbildungen der Autorin ein. Auch die fiktiven Biografien der Herkunftsfamilien der Eltern des Mädchens könnten sich tatsächlich so abgespielt haben.
Wenn sich leibliche oder aufnehmende Eltern (Adoptiv-, Pflege-, Bereitschaftspflege-, Kinderdorfeltern) um Kinder kümmern, die Traumatisierungen, erst recht lang andauernden komplexen Traumatisierungen ausgesetzt waren, ist das eine ganz besondere Herausforderung. Das hat die Autorin als Pflegemutter eines Pflegesohnes selbst erfahren und weiß dadurch solche menschlichen Leistungen besonders zu schätzen. Sie bringt ebenso viel Verständnis für Fehleinschätzungen und Unkenntnisse von Menschen aus der Umgebung auf und beabsichtigt aufzuklären, im Buch wie im Leben.
Kinder von suchtkranken oder psychisch kranken Eltern (z.B. Persönlichkeitsstörungen, Depressionen) sind einem besonderen Risiko ausgesetzt, frühe komplexe Entwicklungsstörungen zu erleiden, beispielsweise durch Verlassenwerden und/oder Verwahrlosung.
In diesem Bereich ist die durch die Autorin beschriebene Problematik des Pflegekindes Isabella anzusiedeln. Es zählt zu dieser Problemgruppe und seine Traumatisierungen begannen zudem sehr früh, was besonders schwere Auswirkungen auf die Hirnreifung und soziale Anpassungsfähigkeit hat.
Gerade für solche jungen Kinder (von null bis drei Jahren) sucht das Jugendamt Hände ringend Bereitschaftspflege- und Pflegeeltern und erarbeitet mit letzteren sowie auch mit den leiblichen Eltern Hilfepläne, welche die Rückkehr der Kinder in ihre Herkunftsfamilien ermöglichen sollen. Das ist berechtigt, doch leider kann sich für die o.g. "Risikokinder" das erlittene, schwere Bindungstrauma durch erneute Trennungs- und Verlustsituationen wiederholen und, in die Herkunftsfamilien zurückgekehrt, ereignen sich womöglich weitere Schockerlebnisse. Nicht selten werden diese "schwierigen" Kinder, die insbesondere durch ihre aggressive Dysregulation Unglück über sich und andere bringen, sogar kurz hintereinander zu mehreren Bereitschaftspflege- und Pflegeeltern oder in verschiedene Einrichtungen gegeben.
Durch Verbreitung von Kenntnissen und Beratungen aller Helfer miteinander, einschließlich der ärztlichen, könnten sich neue Perspektiven eröffnen, was sich die Autorin auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen wünscht und worauf sie aufmerksam machen möchte.
Aus meiner eigenen ärztlichen Sicht gehört ihr Buch nicht nur in die Hände von Eltern, sondern ebenso von Pädagogen, Lehramtsanwärtern, Schulpsychologen und Sozialpädagogen bzw. Sozialarbeitern, insbesondere bei den Jugendämtern, und es kann dortige Pflegeelternschulungen zusätzlich bereichern.
Da leider jeder einzelne Mensch als Kind oder Erwachsener durch einen Schock katastrophalen Ausmaßes eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erleiden kann, nach welcher nichts mehr wie vorher ist, dürfte das Interesse an dieser Problematik uns alle betreffen.
Gesellschaftliche Vorurteile und überholte medizinische Kenntnisse "haften" den Menschen mit katastrophalen Schock- und auch Schreckerlebnissen (PTBS) teilweise heute noch "an". Sie erlebten unglaublich Schreckliches. Und im wahrsten Sinne des Wortes wird ihnen das Unglaubliche (z.T.) nicht geglaubt; Schwäche, Täuschungsversuche, Lügen (Täter-Opfer-Umkehr), Rentenbegehren u. a. kann ihnen u. U. unterstellt werden.
Um die PTBS, komplexe PTBS und komplexe Entwicklungsstörung Frühtraumatisierter (KEF) zeitiger erkennen zu können, weitere Verschlimmerungen und lebenslange Folgestörungen, sowohl bei leiblichen als auch aufgenommenen Kindern, möglichst zu verhindern, ist die Verbreitung von entsprechendem Wissen auch über die Literatur von Bedeutung. Darin besteht ebenso das Anliegen der Autorin.
Sie leistet mit ihrem Buch einen wertvollen Beitrag zur möglichst rechtzeitigen Erkennung der Folgen von stattgehabten Traumatisierungen durch Eltern sowie Helfer und Anerkennung der Tragweite dieser, erstmals 1992 durch die amerikanische Psychiaterin, Judith Hermann, beschriebenen Erkrankung.
Die Trauma bedingte Not hat zugenommen und nimmt die Kinder nicht aus. Leider sind immer mehr Menschen (Erwachsene und Kinder) insbesondere durch Hunger, Folter, Kriegswirren, Vergewaltigung, schwere persönliche Verluste und andere Strapazen der Migration komplex traumatisiert. Auch die Autorin Schiwarth-Lochau hat im Schuldienst Anzeichen einer komplexen PTBS bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund erlebt, was zwar nicht Gegenstand ihres Buches ist, sie jedoch darin bestärkte, sich der Thematik der komplexen PTBS besonders anzunehmen.
Umfassende Hilfen für alle, aus den verschiedensten Gründen schwer traumatisierten Menschen - und eine möglichst weit verbreitete Aufklärung - sind erforderlich.
Mein Dank gilt an dieser Stelle der Autorin Schiwarth-Lochau sowie allen Autorinnen und Autoren, die zur Verbreitung des Wissens für Betroffene über die PTBS - sowohl mittels Belletristik als auch Fachliteratur und Fachratgebern - beitragen.
Dr.med. Ingrid Stockmann