»Der Anwalt verlangt Ihre Anwesenheit in seiner Kanzlei, soforrt!« Mit zwei r.
Darüber nachsinnend, wie hart es war, in der Kasbah zu leben, wo man in null Komma nichts über alles Bescheid wusste, immer von hundert Augen beobachtet, die einem jede Privatsphäre und die Möglichkeit entzogen, Geheimnisse zu haben, das erste Attribut, um wirklich ein Mann zu sein, durchquerte ich die beiden riesigen Räume, die immer von zerlumpten, aber würdevoll herausgeputzten Klienten überquollen, die aussahen, als würden sie zu einer Beerdigung erscheinen, und betrat den endlosen, leeren, ringsherum nur mit Vitrinen voll herrlich in der Sonne leuchtender Bücher verkleideten Saal. die Bücher waren absichtsvoll hinter dem Glas platziert, um den armen Klienten zu verunsichern - das war mir seit langem klar -, mir, Gabin, konnte man aber nicht damit kommen!
Doch der Saal zog sich hin, die Beine zitterten ein wenig und ich machte eine kleine Pause, um von der Großstadt zu träumen, der unüberschaubaren Großstadt, wo es die Möglichkeit gab, sich zu verstecken, anonym zu bleiben, ein Geheimnis zu haben . Würde es mir je gelingen, aus der Kasbah herauszukommen und nach Paris zurückzukehren? Auch ich hatte ein imaginäres Metro-Ticket meines imaginären Paris an der gekalkten Wand neben dem Kopfkissen meines Lagers befestigt, hoch oben in meiner Kammer unter den Dächern, nah beim Himmel. Ich musste nur den Kopf auf dem Kissen drehen, um es zu betrachten, das allein für mich sichtbare Stückchen Karton, und zu träumen.
»Aber warum, Goliarda, willst du aus deinem schönen Zimmer in dieses Mauseloch unter dem Dach ziehen, das ist nur eine Bodenkammer. Ein Backofen im Sommer und ein Eisschrank im Winter! Und außerdem muss man erstmal das ganze Durcheinander dort beseitigen.«
Die sanfte Stimme meiner Schwester Licia leistete Widerstand. Sie fürchtete immer um meine Gesundheit, wenn auch sehr taktvoll. Dieser Takt musste - außer dass die Glückliche die Großstadt kennengelernt hatte - von ihrem hohen Wuchs und der gewölbten, ungetrübten, in meinen Augen fürstlichen Stirn herrühren (etwas zu rechteckig, säuselte ihre Schwester Musetta neidisch). Aber ich war standhaft geblieben, ich war ihrem Charme nicht erlegen und aus eigener Kraft - »ich mache den Umzug allein, keine Sorge« - verließ ich - endlich! - das Zimmer voller Stuck und Nippes in der ersten (Nobel) Etage, das mir für einen verfolgten jungen Mann, und nichts anderes war ich jetzt, durch und durch abstoßend und bourgeois vorkam.
Aber das war einmal, jetzt musste ich dem Anwalt gegenübertreten, meinem Vater, von dem zu sprechen sich nicht lohnt, weil ihn jeder hier oder unten in unserem Viertel, der Civita, kennt: mein Vater, geliebt von den Armen und gehasst von den Faschisten, aber von allen respektiert und gefürchtet.
»Also, Kleines, wie kommt es, dass man nach links und rechts um sich schlägt? Weißt du, dass Concettas Mutter beteuert, sie habe sich den Knöchel verrenkt?« - und so weiter und so fort. Und dann: »Warum hast du das getan?«
Sagt ihr mir, ob meine Antwort anders hätte ausfallen können:
»Jean Gabin hätte dasselbe getan.«