Wütend stapfte ich in Grands Haus und knallte die Tür hinter mir zu.
Grand trug gerade die rote Glaskaraffe von der Vitrine in die Küche. 'Meine Güte, Florine, musst
du denn so einen Krach machen?'
'Stella hat die Nacht bei Daddy verbracht', rief ich.
'Immer mit der Ruhe. Setz dich, und ich stelle erst mal die Karaffe weg, bevor sie noch kaputt
geht.'
Stocksteif setzte ich mich aufs Sofa. Meine Knie zitterten vor Erregung. Wie konnte sie nur? Wie
konnte er nur? Daddy hatte Carlie und mich wegen einer mageren, narbengesichtigen Schlampe
verlassen. Am liebsten hätte ich sie alle beide umgebracht.
'Gib mir deinen Mantel', sagte Grand. Ich schälte mich heraus, und sie hängte ihn an einen
Haken im Flur. Dann setzte sie sich zu mir.
'Also, was ist passiert?', fragte sie.
'Ich war gerade auf dem Weg hierher, und da hab ich gesehen, wie Stella aus unserem Haus kam.
Sie hat gesagt, sie war die Nacht über bei Daddy. Sie haben es getan, Grand, ich weiß es ganz genau.'
'Was haben sie getan? Oh. Ach, du lieber Himmel.'
'Das können sie nicht machen, Grand. Daddy ist mit Carlie verheiratet.'
'Ist ja gut, ist ja gut', sagte Grand. 'Jetzt beruhige dich erst mal ein bisschen.'
Ich versuchte es, aber dann schlugen meine Fäuste auf meine Oberschenkel, als wollten sie sie
platt klopfen, und ich brüllte: 'Ich will sie nicht bei Daddy haben. Wie konnte er Carlie und mir das
antun?'
Grand hielt meine Hände fest und sagte: 'Ich weiß es nicht, Kleines. Ich nehme an, er ist ziemlich
durcheinander.'
'Rede mit Daddy. Sag ihm, dass er das nicht machen kann. Sag ihm, dass Jesus was dagegen hat.'
'Florine, so etwas tue ich nicht. Ich würde niemals Jesus benutzen, um jemandem zu drohen.'
Ich entzog ihr meine Hände und stand auf. Ich lief auf und ab, ich brauchte irgendeine Beschäftigung.
Dann fiel mir wieder ein, weshalb ich gekommen war. Ich ging zur Vitrine, nahm das Herz vom
mittleren Regal und steuerte damit auf die Küche zu.
'Nicht heute, Florine', sagte Grand. 'Du bist zu aufgebracht. Du könntest etwas kaputt machen,
und dann würden wir uns beide schlecht fühlen.'
'Dein blödes Glas ist also wichtiger als ich?', schrie ich. Ich rannte aus dem Haus, über die Straße
und den Weg hinauf, der aus unserem Garten zu den Cheeks führte. Ich kletterte über die Felsen und watete durch kniehohen Schnee in den Wald. Allein in der kalten Verlassenheit des Naturschutzgebiets,
stapfte ich auf die Klippen zu. Ein schneidender Wind wehte mir vom Meer entgegen. Die alten Kiefern
bogen sich ächzend, nach Luft ringend wie ein verletzter Elch, als ich mich an ihnen vorbeikämpfte. Mir
war kalt, aber ich wollte ums Verrecken nicht umkehren, um meinen Mantel zu holen. Ich rutschte auf
einer vereisten Stelle aus, fiel auf den Bauch, und das kleine Herz glitt mir aus der Hand. Fluchend
suchte ich im Schnee danach, fand es und drückte es an mich. Schließlich kam ich zu der Stelle, wo das
Meer unablässig mit einem rasselnden Fauchen gegen die steilen Granitfelsen donnerte. Die Gischt
bedeckte mein Gesicht mit eisigen Küssen.
Ich schrie all meinen Zorn, meine Trauer und meinen Schmerz hinaus in die Winterhölle aus tobendem
Wasser und peitschendem Wind. 'MUTTER', brüllte ich, 'komm zurück! SOFORT!'
Doch das Meer und die Felsen führten ungerührt ihren eisigen Kampf fort. In meiner Verzweiflung
rief ich: 'Hier! Jetzt gibt sie mir zurück!', und warf das rubinrote Herz in die eisblaue See. Ich schwöre,
kurz bevor es auf die Wasseroberfläche traf und verschwand, sah ich einen Funken aufsprühen.
Und dann war Carlie bei mir. Von Kopf bis Fuß umfing mich wohlige Wärme, als meine Mutter mich
in die Arme schloss. Ich roch ihr Parfüm und drückte meine Nase in ihr Haar. Da waren wir, ganz für
uns allein in einem kleinen leuchtenden Kreis aus Wärme. Love me sweet, never let me go. sangen
wir, und von mir aus hätte es damit enden können.
Doch plötzlich war Glen da und warf seinen dicken, gefütterten Jagdanorak über mich.
'Los, komm, Florine', sagte er. Ich sah auf und lächelte ihn und Bud und Dottie an.
'Seht ihr? Ich hab sie gefunden', sagte ich, während Carlie mich fester an sich drückte.
'Florine, verdammt noch mal, deine Lippen sind ganz blau', sagte Dottie. 'Wo ist dein Mantel?'
'Kannst du aufstehen?', fragte Bud. Ich blickte an mir hinunter und sah überrascht, dass ich auf den
kalten Felsen saß. 'Ich will gar nicht aufstehen', sagte ich. 'Seht ihr denn nicht, dass sie hier ist?'
'Herrgott noch mal, Glen, heb sie hoch', sagte Dottie. 'Sie ist völlig unterkühlt.'
Glen schwang mich über seine Schulter und schleppte mich durch den Wald zurück nach Hause,
obwohl das der letzte Ort war, wo ich hin wollte. Ich versuchte, Carlie festzuhalten, doch sie entglitt mir
zusehends, während Dottie immer wieder brüllte: 'Nicht einschlafen! Bleib wach! Nicht einschlafen.'
Irgendwann wachte ich in meinem Bett wieder auf. Es musste wohl gegen Nachmittag oder Abend
sein, aber nachsehen konnte ich nicht, weil meine Augen sich anfühlten, als hätte jemand Ziegelsteine
daraufgelegt. Grand war in der Küche und sprach mit Daddy.
'Florine verkraftet es noch nicht, dass du was mit jemand anderem anfängst. Sie ist eine einzige
klaffende Wunde. Sie ist verdammt zäh, aber sie ist auch ein Mädchen, das seine Mutter verloren hat.'
'Das Letzte, was ich will, ist, meiner Kleinen wehzutun. Wenn ich gewusst hätte, wie schlimm das
für sie ist, hätte ich's natürlich nicht gemacht', sagte Daddy. 'Aber, Ma, es kommt mir vor, als würde ich
in der Hölle leben. Es hat gutgetan, für eine Nacht ein bisschen Trost zu bekommen. Ist das denn so
schlimm?'
'Was denkst du?', fragte Grand. Danach herrschte Schweigen, wahrscheinlich weil Daddy überlegte.
Grand sagte: 'Vielleicht kommt Carlie zurück. Und selbst wenn nicht, muss Florine das erst mal mit dem
Verstand und dem Herzen begreifen.'
Darauf sagte Daddy mit einer Stimme, die so tief war, dass sie über den Boden zu schleifen schien:
'Ma, Carlie kommt nicht zurück. Ich kann nichts mehr tun. Ich hasse es, Parker und die anderen anzurufen.
Und sie hassen es, dass sie mir nichts berichten können. Verdammt, wir drehen uns im Kreis. Ich
habe diese Frau mehr geliebt, als ich sagen kann, und wenn sie wieder durch diese Tür käme, würde ich
sie mit einem Feuerwerk empfangen. Aber, Ma, sie kommt nicht zurück. Und ich kann einfach nicht
mehr.' Er weinte eine Weile, und ich hörte Grands 'Schhh, ist ja gut' und konnte mir vorstellen, wie sie
ihm über den Rücken strich.
Eine Weile später spürte ich seine klamme, schwere Hand auf meiner Stirn. Ich zwang meine Lider
auseinander und sah in seine besorgten blauen Augen. Dann drehte ich mich zur Wand.
'Lass mich allein', sagte ich.