Armin schwieg. Nur weit in der Ferne sah man kleine Punkte über ein Feld ziehen. Willigis standen die Tränen in den Augen. Der Wind fuhr ihm durch das zerzauste Haar. Man hatte eine gute Sicht von hier oben. Allerdings der Blick hinüber ins Tal der Saale blieb einem verwehrt. Die zwei standen noch ein Weile auf dem Bergfried und blickten schweigend ins Land.
"Woran denkst du, Armin?" fragte Willigis den alten Ritter. Armin vom Elsenstein ließ den Blick übers Land schweifen. Er sah auf die umliegenden Dörfer, eingebettet von sanft ansteigenden Hügeln. Felder, Wiesen, kleine Haine. Es würde ein gutes Jahr werden.
"Dies ist das Land der Saale, und glaub' mir mein Sohn, ich habe niemals ein besseres gesehen. Ich sah das große Rom, das prächtige Byzanz; ja mein Pferd trug mich selbst bis vor die Mauern von Jerusalem. Ich war ergriffen, ich war bewegt, doch ich habe nie das gefühlt, was..."
"Rom?!" unterbrach ihn Willigis vorlaut, "Gernot hat mir davon erzählt. Der heilige Vater wohnt dort. Liegt das hinter den Bergen im Süden, Armin?"
"Ach, Willigis", Armin stierte auf seine gefalteten Hände. "Rom! Das ist eine Stadt. Vielleicht führt dein Weg dich eines Tages dorthin. Aber verstehen wirst du meine Worte erst, wenn du so alt bist wie ich." Armin hielt inne.
"Bald werden auch wir in den Süden reiten.", sagte er schließlich und setzte hinzu. "Zum König. Du wirst staunen."
Willigis jedoch mißfiel dieser Gedanke. Einen König konnte er in seine Welt nicht einordnen. Sicherlich ein hoher Herr.
"Weißt du, Armin", begann er vorsichtig, "große Herren haben mir bis jetzt wenig Glück gebracht und eure Burgen mag ich auch nicht. Laß uns lieber wieder zurück in die Wälder reiten."
Der alte Ritter lächelte "Ja, die Wälder, Willigis. Du hast viel von deinem Vater und bist doch anders. Du ähnelst auch sehr deiner Mutter."
"Kannte denn mein Vater diesen König?" "Und ob. Er war einer der ersten Paladine des alten Kaisers. Konrad und er kämpften damals zusammen."
"Er und der König?" Willigis zeigte sich erstaunt. "Führst du mich deshalb zum König?"
"Nicht nur. Vor allem, weil ich es deinem Vater schuldig bin. Und weil dir Rechte zustehen, die wir für dich einfordern werden."
Dem Jungen erschienen Armins Antworten unheimlich. Verwirrt fragte er: "Warum tust du das alles? Bist du sicher, das er dies gewollt hat?"
"Gewollt?! Es wäre Raimunds ausdrücklicher Wunsch. Ich bin dessen sicher. Junge, du verzichtest freiwillig auf etwas, was dir zusteht. Niemand tut das."
"Niemand?! Ihr lebt in einer komischen Welt. Alles muß einen Sinn haben. Man muß einen König treffen, um Rechte zu erlangen, von denen man nichts weiß." Willigis lehnte sich weit über die Zinne. "Gut, wenn du mir Jena zeigst", rief er, "gehe ich mit dir zum König."
Armin schüttelte den Kopf. So konnte nur ein einfältiger Narr fragen, der in den Wäldern zu Hause war. Aber er war ja noch ein Junge.
"Jena?!", brummte er, "Du bist verdammt dickköpfig. Mußt noch einiges lernen." "Du bist immer so ernst, Armin. Erzähl mir vom Ritter der azurblauen Bergblume und Freund der silberhellen Schlange. Erzähl von meinem Vater. Erzähl von euch beiden..."
"Hmmm", erwiderte der alte Mann. "Dein Vater und ich waren Freunde. Wir kannten uns schon, als ich noch so klein war wie du. Aber lassen wir das."
Armin trommelte mit den Fingern nervös auf den Mauersims. "Ich erzähle dir lieber von der Sippe deines Vaters - des Geschlechtes derer von Auhausen...."
Und so erfuhr Willigis viel vom Süden, von Franken, von Schwaben und dem Elsaß; Armins Heimat am Rhein. Doch das Geheimnis, das Armin und seinen Vater verband blieb im Dunkeln.