Südburgenland, 5. Dezember 2062
Morgendämmerung mitten im Nirgendwo des burgenländischen Outbacks. Jede Menge verwilderter Landschaft ringsum, aber nirgendwo ein Zeichen menschlicher Besiedlung, keine bewohnten Häuser, keine Felder oder Weinberge. Die ersten Strahlen der bleichen Wintersonne brechen zaghaft hinter dem nebelverhangenen Horizont hervor. In kleinen Windhosen lässt der eisige Dezemberwind abgestorbenes Laub über den rissigen Asphalt der Startbahn tanzen. Die ungewöhnliche Kälte dieses Winters fährt dem Hadrian Haidegger gnadenlos unter seinen dick mit Kevlar-Matten ausgepolsterten Mantel, kaum dass er aus der wohligen Wärme des fetten Mercedes steigt. Haidegger schaudert und zieht die Mütze tief ins Gesicht. Elendiger Drecks-Winter! Aber er braucht nicht lange in der Kälte zu warten, pünktlich auf die Minute kommt die Transportmaschine rein. Das dumpfe Dröhnen der mächtigen Turbofans der alten Iljushin wird lauter. Mit der schmucken Nachtsichtbrille von Yosuka Techtronics kann Haidegger das schwerfällige Flugzeug ausmachen, das unterhalb der Radarerfassung in Baumwipfelhöhe von Südwesten her angeflogen kommt. Sogar die vier dunklen Rauchwolken, die der Flieger hinter sich herzieht, werden von der Elektronik vor seinen Augen deutlich abgebildet. Natürlich sind die Positionslichter ausgeschaltet, und dass jegliche Hoheitsabzeichen fehlen, versteht sich ja wohl von selbst.Haidegger ist nicht der Einzige, der den Flieger bemerkt hat. Mehr als ein Dutzend schicker Limousinen parken entlang der kurzen Startbahn des längst aufgelassenen Flugplatzes im Südburgenland. Aus jeder dieser Limousinen steigen nun ein oder zwei Gestalten, fröstelnd im bitterkalten Wind. Allesamt stecken sie in dicken, kevlargefütterten Mänteln. Parteiagenten und Konzernmänner diverser Fraktionen, genau wie Haidegger. Er kennt sie alle, etliche davon arbeiten sogar für die gleiche Partei wie er. Auch er ist ein Mann einer Partei, ihr treu ergeben, aber nicht einer der hirnlosen Schläger vom Radikaldemokratischen Schutzbund, auch nicht einer der ordinären Parteisoldaten, die dem Herrn Bundesvorsitzenden wie Lemminge in den Abgrund folgen würden, die brav wie kleine Schulkinder eine Handvoll halbgarer Zitate von Marx vor sich her brabbeln können, ein fluoreszierendes Holo vom Exkanzler Kreisky überm Bett hängen haben und voll ergriffener Inbrunst an Deficit spending glauben.Nein, mit so was gibt sich der Haidegger nicht ab, da steht er drüber, weit drüber. Er ist der Mann im Hintergrund, der Mann, den niemand kennt, der gewisse Dinge geschehen lässt und der andere Dinge ungeschehen macht. Der dunkle Schatten, der dafür sorgt, dass keine Spuren zurückbleiben, Skandale unter den Teppich gekehrt werden, dass die Leichen unerkannt in den trüben Fluten der Donau versinken, bevor die Schnüffler auftauchen, und der dafür sorgt, dass die Berichterstattung der Medien nie zu weit von der Parteilinie abweicht. Haidegger ist einer von denen, die die Drecksarbeit machen. Die Drecksarbeit, die sicherstellt, dass die Partei auch weiterhin an den Futtertrögen der Macht nuckeln kann, dass sich die Funktionäre und Apparatschiks ungestört an den Steuergeldern mästen können. Wie gesagt, Haidegger ist einMann der Partei, ihr treu ergeben, praktisch bis in den Tod hinein. Und das ist wortwörtlich zu verstehen, denn dank der intensiven Beziehungen der Partei zur Konzernwelt mit ihren Beta-, Gamma- und Delta-Kliniken hat der Tod dieser Tage ziemlich viel von seinem Schrecken eingebüßt.Mit einem dumpfen Krachen setzt die Iljushin auf, ein Ruck geht durch den plumpen Rumpf des Fliegers, als die Bremsen aufkreischen und die Schubumkehr einsetzt. Trotz dieser bremsenden Titanenkräfte schlittert die Transportmaschine fast bis ans Ende der Landebahn, ehe das Bewegungsmoment gebrochen werden kann und die schiere Masse des Vogels zum Stehen kommt.Noch ehe das Brummen der Turbinen verstummt, erwacht die Hydraulik im Heck des Fliegers mit lautem Zischen zum Leben und lässt die Laderampe hinunter. Heraus rollen zwei sechsrädrige Radpanzer, ein gepanzerter Jeep und ein ebenso gepanzerter Lastwagen, rotgelber Wüstensand auf zerkratztem Lack in historischem UNWeiß. Auf der Seite jedes Fahrzeugs prangt das ehemalige Wappen der UNO, darunter >ZUMZivil und MilitärGut zwei Dutzend Gestalten spazieren die Rampe hinunter, großteils Männer, aber auch ein paar Frauen, alle in khakifarbenen Tarnanzügen, himmelblaue Barette am Kopf. Die meisten tragen ganze Batterien von Orden und Abzeichen an Brust, Ärmeln und Schultern. Lachend klopfen sie einander gegenseitig auf die Schultern, schütteln sich die Hände. Partystimmung.Haidegger verzieht süffisant die Mundwinkel. Offensichtlich wissen die Damen und Herren noch nicht, was sich während ihrer Abwesenheit in Österreich abgespielt hat. Aber das werden sie jetzt wohl schnell erfahren. Und die Partystimmung wird dann wahrscheinlich ganz schlagartig und ganz nachhaltig verflogen sein ...Es ist nicht besonders schwierig für Haidegger, seinen Boss unter den Möchtegern-Peacekeepern auszumachen. Ein groß gewachsener Mann mittleren Alters mit einem relativ kleinen, eiförmigen Kopf: Albert Hacklhuber, seines Zeichens Bundesvorsitzender der Partei, gefeierter Kriegsheld, ganz hohes Tier im Club 65 und, nicht zuletzt, Vizekanzler von Österreich. Scheint ein wenig angetrunken zu sein, der Herr Hacklhuber, seine Bewegungen sind fahrig, und er stützt sich schwerfällig auf die Schulter von Frau Adelheid Santori, der Chefin des Neoliberalen Forums.»Jö schau, das is' ja urleiwand, der Ha-Ha holt uns ab!«Haidegger verzieht die Mundwinkel. »Ha-Ha«, diese hirnverblödete Abkürzung für Hadrian Haidegger, Hacklhubers Standard-Schmäh, wenn sie sich treffen, tausendmal gehört und immer noch genauso unlustig wie beim erstenMal.»Sie, Haidegger, also, ich muss Ihnen echt sagen, unser kleiner Ausflug zu den Negeranten war ein Hit! ZUM ist einfach urgeil, das hätten's erleben sollen! Also, wie wir dort drunten im Senegal Luftlandung gemacht haben, das war schon eins A, kein Dreck. Und dann - Schwupps! - mitten rein ins Operationsgebiet, quer durch die Ziegenherden, volle Wäsch', dass die dort heut noch das Faschierte zusammenklauben. Das Missionsziel umstellt, so ein Dorf von irgendwelchen Ork-Negeranten. Stacheldraht ringsherum aufgepflanzt, dass sie uns nicht auskommen, den Dorfbrunnen gesprengt und dann zack-zack, Peacekeeping und ein bisserl das Humanitäre, wissen's eh, Wasseraufbereitung und Care-Pakete und so. Totaler Schlagobers! Und dann natürlich die Suche nach Massenvernichtungswaffen - also die war der Oberhammer!«Der Haidegger schüttelt den Kopf. Die Streiche des Club 65, Österreichs einflussreichster und zweifelsohne dekadentester Loge, haben mittlerweile ein erstaunliches Ausmaß erreicht. ZUM ist da gar nicht mal der Höhepunkt. Bei weitem nicht!