Vorwort
Als ich 2016 zum ersten Mal einen Presseartikel zu diesem Fall las,
ging es mir wie vielen anderen Leipzigern: Ich empfand pures Entsetzen.
Wie konnte jemand eine solche Tat begehen? Wie konnte
ein Mensch einem anderen Menschen so etwas antun? Nicht irgendwo
auf der Welt, sondern direkt in meiner, in unserer Nachbarschaft?
Durch Kriminalromane und Filme sind wir geschult, hinter einer
solchen Tat eine Welt des Bösen zu vermuten. Einen Wahnsinnigen,
einen Ritualmörder, einen gefährlichen Trieb- und dazu womöglich
noch einen Serientäter.
Abgründe ziehen die Menschen an, auch mich. Als Filmemacher
habe ich im Laufe der letzten zwanzig Jahre eine lange Reihe an
TV-Reportagen und Crime-Dokumentationen gedreht. 2021 bekam
ich den Auftrag, einen zweiteiligen Film über den »Leipziger
Frauenmörder« zu drehen, von dem dieses Buch handelt. Mir war
das Grauen noch in Erinnerung, das ich fünf Jahre zuvor empfand,
als die Polizei lange Zeit erfolglos nach dem Unbekannten fahndete.
Während der Dreharbeiten interviewte ich die Ermittler und Kriminaltechniker,
den leitenden Staatsanwalt und Menschen, die in
irgendeiner Form von der Geschichte betroffen waren. Ich sprach
mit Menschen, die Täter und Opfer kannten.
Am Ende lag das wahre Grauen in der Banalität der Umstände. In
ihrer furchtbar normalen Alltäglichkeit. Es entstand ein Bild des Täters,
der Lebensumstände und Hintergründe, die plötzlich gar nicht
mehr so fremd waren.
Meine Motivation für dieses Buch war, einen Blick auf die (mögliche)
Entwicklungsgeschichte der Taten zu werfen. Wenn so etwas
überhaupt möglich ist.
Doch bei allen Erklärungsversuchen: Tötungsverbrechen sind in
letzter Konsequenz nicht zu begreifen. Es mag Gründe für eine Tat
geben, doch sie letztendlich auszuführen, führt in ein psychisches
Geflecht, das kaum zu durchdringen ist.
Ziel des Buches ist es auch, die einzelnen Schritte der polizeilichen
Ermittlungen zu schildern. Herausgekommen ist ein Tatsachenroman,
ein Gedankenspiel zu einem Aufsehen erregenden Fall. Jedoch
kein journalistisch korrekter Bericht.
Die Ermittlungsdetails stimmen, soweit ich sie recherchieren
konnte, mit der tatsächlichen Fahndung der Jahre 2016 und 2017
überein. Einige wenige Punkte habe ich aus dramaturgischen Gründen
verändert. Den tatsächlichen Verlauf der Ermittlung beeinflussen
die Hinzufügungen nicht.
Die vielen Gespräche, die ich während der Recherche zur Film-
Dokumentation und später zu diesem Buch geführt habe, zeichneten
mehr oder weniger detaillierte Bilder der handelnden Personen. Diese
Eigenschaften und Wesensmerkmale habe ich versucht, in den fiktiven
Teilen widerzugeben - so, wie sie sich mir dargestellt haben.
Diese Eindrücke sind natürlich subjektiv und kommen der Realität
nur bedingt nahe.
Die Ermittlungsarbeit der Polizei ist bei komplexen Kapitalverbrechen
ein Zusammenspiel unterschiedlichster Fachrichtungen.
»Nur mit einem guten Team können Sie einen solchen Fall aufklären
und eine angemessene Strafe erwirken«, sagte mir Kriminaldirektor
Lutz Mädler in einem Gespräch. Er war einer der beiden Leiter der
SOKO Brücke, die 2016 und 2017 nach dem Täter fahndete. Denn
auch das Urteil ist maßgeblich von der Qualität der Ermittlung und
Spurensicherung abhängig. Ohne belastbare Spuren, belegbare Theorien
zu Tatabläufen, glaubhafte Aussagen und Gutachten kann ein
cleverer Verteidiger für seinen Mandanten ein Strafmaß erwirken,
das der tatsächlichen Tat womöglich nicht angemessen ist.
Um die Erzählung greifbarer, die Fahndung nachvollziehbarer zu
machen, habe ich einige der im Buch handelnden Ermittler erfunden.
Sie bestehen aber im Kern aus den vielen engagierten Kriminalbeamten,
die ich im Laufe der Jahre im Rahmen von Recherchen
und Dreharbeiten kennen gelernt habe. Diejenigen Ermittlungsbeamten
und Mediziner, von denen ich die echten Namen verwende,
haben dies genehmigt.
Die Zitate aus den Interviews, die ich mit ihnen geführt habe, sind
mit einem individuellen TC (Timecode) versehen. Das vereinfacht
das Auffinden der jeweiligen Stelle in den umfassenden Abschriften.
Die Namen der Opfer, ihrer Angehörigen und Freunde wurden
aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verändert.