Die untergegangene Stadt Vineta (Barth)
Die Geschichte vom Murmann (Graal-Müritz)
Die Suche nach dem Petermännchen (Schwerin)
Die Sage vom Teterower Hecht (Teterow)
Vom Fischer und seiner Frau (Wustrow)
Die Ivenacker Eichen (Ivenack)
Die Hexen von Penzlin (Penzlin)
Der alte Mann und sein Zeesenboot (Ribnitz-Damgarten)
Dieter vom Dachboden (Dreilützow)
Der Heilige Damm (Heiligendamm)
Die untergegangene Stadt Vineta
Alle sahen gespannt zu Frau Pfeiffer. Keiner konnte mit den Worten etwas anfangen. Nur Linus schmunzelte vor sich hin. Er wusste, was sie alle gleich erwarten würde. "Wir werden uns in der nächsten Zeit mit Sagen und Märchen beschäftigen", sagte Frau Pfeiffer. "Und es gibt sogar eine Sage, die unsere Stadt Barth betrifft. Die Sage von der untergegangenen Stadt Vineta werde ich euch heute vorstellen. Wenn ihr bereit seid, fange ich gleich an." Frau Pfeiffer legte ein Buch vor sich hin und begann zu lesen: "An einem Sonntag blickte ein Junge mit seinen Schafen über die Ostsee. Plötzlich bemerkte er einen goldenen Schimmer am Horizont. Er traute seinen Augen nicht. Vor ihm stieg aus dem Wasser eine alte, reichlich verzierte Stadt empor. Er rieb sich die Augen, weil er den Anblick für ein Trugbild hielt. Die Stadt blieb. Eine Stadt, die golden glitzerte, hatte er nie zuvor gesehen. Er wurde neugierig, überlegte nicht lange und sprang ins Wasser. Er schwamm der Stadt entgegen. Dort angekommen, erblickte er ein Tor. Das wurde von bärtigen Männern bewacht. Sie begrüßten den Jungen grimmig, ließen ihn aber durch. Als der Junge durch das Tor ging, stellte er fest, dass auch die Straßen der Stadt prachtvoll aussahen. Fenster aus buntem Glas, Säulen aus Marmor und sogar vergoldete Ziegel gab es. Deshalb leuchtete sie in purem Gold. Als er weiterging, sah der Junge prächtig gekleidete Männer und Frauen in altertümlichen Gewändern. Die Männer trugen lange edle Mäntel mit Pelz. Die Frauen waren in Samt und Seide gekleidet. An ihren Hälsen hingen Goldketten und Edelsteine. Die Männer und Frauen konnten gar nicht aufrecht gehen, so schwer war der Schmuck. Alle bewegten sich zwar, aber in der Stadt blieb es stumm. Kein Laut war zu hören. Selbst auf dem Markt, auf dem Kaufleute allerlei Waren anboten, sprach niemand ein einziges Wort.
Der Junge war beeindruckt von dem glänzenden Brokat, dem schimmernden Samt und der hauchdünnen Seide. Nie zuvor hatte er so etwas zu Gesicht bekommen. Er lief eilig weiter, weil ihm inzwischen alles unheimlich vorkam. Ein Kaufmann winkte ihn zu, als er sah, dass der Junge weglaufen wollte. Er breitete seinen Stoff vor ihm aus und deutete an, dass er etwas kaufen sollte. Doch der Junge war arm. Er hatte keinen einzigen Pfennig dabei." "Woher sollte ein armer Schäferjunge Geld haben?", rief jemand aus der Klasse laut in den Raum. "Das ist wahr", meinte Frau Pfeiffer und las weiter vor: "Alle anderen Kaufleute machten es genauso und wollten ihm ihre Waren verkaufen, doch er zeigte stets auf seine leeren Taschen. Ein Kaufmann zeigte ein winziges Geldstück und deutete stumm an, dass er dafür alles auf seinem Tisch bekommen könnte.
Der Schäferjunge lief schnell durch das verzierte Tor und schwamm zurück zum Strand, wo seine Schafe warteten. Als er
dort angekommen war, drehte er sich um und sah nur noch das Wasser der Ostsee. Nichts war mehr von der glanzvollen Stadt mit all ihrer Pracht zu sehen. So lautlos, wie sie emporgestiegen war, war sie in den Fluten versunken. Der Junge saß lange staunend am Strand und konnte nicht glauben, was er gesehen hatte, bis ein Fischer zu ihm kam. Diesem erzählte er, was er erlebt hatte. Daraufhin sagte der Fischer: 'Hättest du nur einen einzigen Pfennig gehabt, wäre Vineta erlöst worden.'