Gloria war schon seit so langer Zeit bereit, dass sie, als
sie ihre Entscheidung getroffen hatte, kaum eine Stunde
benötigte, um alles zu packen, die Ausweise, Impfpässe
und die Beretta ihrer großen Liebe, für Stella zwei Exemplare aus dem Stapel mit den noch ungelesenen Büchern, für Loulou zwei Plüschtiere sowie ihr liebstes Schaffell, das Mastermind-Spiel aus dem Chaos in Stellas Zimmer, für jede von ihnen ein Paar Schuhe, dazu Zahnbürsten, Doliprane, Thermometer, Läusekamm und warme Kleidung.
Dort, wo sie hinfahren würden, wäre es kalt, und
die Mädchen hatten in ihrem ganzen Leben noch nie
gefroren.
Sie schloss die Fensterläden auf der Südseite, wie sie es tagsüber immer tat - sie vermutete, dass er regelmäßig am Haus vorbeikam, wollte, dass alles ganz normal aussah. Das würde ihnen ein paar Stunden Vorsprung verschaffen.
Am Morgen hatte sie Loulou an ihrer Schule abgesetzt,
Stella war mit ihren Freundinnen mit dem Bus gefahren
und Gloria hatte sich jeden Gedanken an das, was
sie ihnen später am Tag und von jetzt an zumuten würde,
verbieten müssen. Sie hatte sich den Gedanken verbieten
müssen, dass Stella ihre Freundinnen zum letzten Mal sah, obwohl die inzwischen ihr ganzes Leben bestimmten und sie ihre Zeit damit verbrachte, sie nach Hause zu begleiten, um dann wiederum von ihnen nach Hause begleitet zu werden. Sobald sie über die Schwelle der Wohnung trat, tauschte sie sich über das Handy mit ihren Freundinnen aus (du legst auf, nein, du legst jetzt auf, nein, nein, du legst auf, wir legen auf bei drei und danach schreiben wir uns), mit der immer stärkeren Überzeugung, dass die Vorgänge zu Hause sie nicht das Geringste angingen.
Gloria rief bei der Schule der Kleinen und beim Gymnasium der Großen an. Sie sagte etwas von einem familiären Notfall und dass sie die Mädchen in einer halben Stunde abholen komme. Man kannte sie. Man wusste, dass das Leben der Mädchen nicht immer einfach war. Man genehmigte es.
Dann legte Gloria ihr eingeschaltetes Handy auf den Tresen zwischen Küche und Wohnzimmer und schaute sich um, auf ihren Schultern der Rucksack, zu ihren Füßen der Rollkoffer, der so riesig war, dass er in der kleinen Wohnung wie ein Frachtcontainer wirkte. Sie stellte fest, dass sie, der Lage zum Trotz, das Gefühl des »Nie wieder« mochte, das dem Augenblick eine spezielle Note verlieh, es war wie eine Chance, die sie sich selbst gab, diese ganze Wunschvorstellung von einem zweiten Leben, wer träumt nicht davon; sie drehte sich einmal um sich selbst, Standuhr, Zeichnungen an den Wänden, Magnete am Kühlschrank, CDs, leuchtendes Monster auf dem Fernseher und in der Spüle das Geschirr, das schließlich versteinern würde, Pompeji, es erinnerte sie an Pompeji; alles, was für so lange ihr Leben ausgemacht hatte, würde nicht mehr bewegt werden, alles würde verstauben, verschimmeln, verfilzen, bis die Dinge
aussähen wie mit Fell überzogen.