»Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.«
Arthur Schopenhauer
* Triggerwarnung: In diesem Text wird mehrmals eine Banane gegessen
HAUPTFIGUREN, nach steuerbarem Vermögen sortiert
Zita Bodeca, Inhaberin und Geschäftsführerin von Banal & Bodeca
Armin Banal, NPC, Mann von Frau Bodeca
Louis Efe di Cabrio, bildender Künstler und Gigolo
Paul Banal, Sohn von Frau Bodeca und Herrn Banal, ehemaliger Pornodarsteller
Frieda Killer, Schwester von Anneli, Scammerin, YouTuberin, medizinische Masseuse
Echo Efe di Cabrio, Bruder von Louis Efe, Sexualstraftäter
Prince Okiti Osayoghoghowemwen, Bruder von Thor, Bünzli1, ehemaliger Pornodarsteller
Toni Otasowie Osayoghoghowemwen, Tochter von Anneli und mindestens einem Vater, TV-süchtig
Thor Obioye Osayoghoghowemwen, Mann von Anneli, Red-Bull-süchtig
Anneli Killer-Osayoghoghowemwen, Mutter von Toni, Impf- und Abtreibungsgegnerin
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Im Jahr 1998 kreuzen sich zwei verlorene Seelen an einer Zürcher Tramhaltestelle, um sich nach zwei Jahrzehnten wieder voneinander scheiden zu lassen. Die dreiunddreißigjährige Anneli Killer hat die Stadt vor einiger Zeit verlassen, um sich dem Sonnentempler-Orden anzuschließen und so über ihren Ex-Freund hinwegzukommen, der sie mit ihrer besten Freundin betrogen hat. Doch als die Absichten des Ordens, durch kollektiven Suizid auf den Stern Sirius überzusiedeln, zu ihr durchgedrungen sind, hat sie ihm den Rücken gekehrt, ist mit einem Bummelzug zurück in die am wenigsten kleine Stadt der Schweiz gefahren und hat sich - aus einem feministischen Antrieb heraus, aber vor allem mangels alternativer Bekanntschaften - mit ihrer besten Freundin ausgesöhnt.
Liste der Dinge, mit denen Anneli ihr spirituelles Vakuum füllen wollte:
1. Männer
2. Sekten
3. LSD
4. Psilocybin
5. Hasch
Doch Annelis geistige Krise bleibt bestehen, und statt nach einem neuen Lebensinhalt zu suchen, beginnt sie auf ihrer Liste einfach noch einmal von vorn. An jenem schicksalhaften Tag diffundiert ihre leichte Drogenpsychose mit der Erscheinung des zehn Jahre jüngeren Thor Obioye Osayoghoghowemwen.
Der ist vor ein paar Jahren in ein Swissair-Flugzeug2 gestiegen und lebt seither den von der rechtskonservativen SVP verhassten und von der PR-Agentur Goal bebilderten Schweizer Traum für faule Ausländer.3 Wenn er nicht gerade in seiner geräumigen4 Eigentumswohnung5 an seinen Bonsaibäumen herumschneidet6, macht er Spaziergänge durch Zürich und hofft, nicht auf einen Hundehaufen zu treten7.
Thor Obioye Osayoghoghowemwen fällt in die Kategorie reife Kaffeekirsche, gepflückt in einem von lauwarmem Nieselregen geküssten Feld in Brasilien. Verantwortlich für die Einteilung von Schweizer Bürgern mit Hautfarben außerhalb des eidgenössischen Hautfarbenspektrums ist das Bundesamt für die Rationalisierung Andersfarbiger anhand von Cappuccino beziehungsweise Kaffee, kurz BARACK - eines von acht Schweizer Verwaltungsdepartements.
Sollte in der Schweiz
a) jemand geboren werden oder
b) jemand Asyl beantragen oder
c) jemand mit Visum einreisen
der nicht in das Spektrum zwischen Leiche und Südländer fällt, zückt ein BARACK-Beamter seinen Caran d'Ache und notiert die Auffälligkeiten der fraglichen Person. Anschließend werden die Notizen nach dem bewährten Vieraugenprinzip einem weiteren Beamten übergeben, dem die Aufgabe zufällt, den Inhalt auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen oder zu streichen. Dieses versteckte Prozedere wiederholt sich sechs weitere Male, bis das BARACK die Standards für Validität und Reliabilität ordnungsgemäß erfüllt und folglich von einer objektiven Einschätzung ausgehen kann. Erst dann werden die Erkenntnisse - gesammelt als Akte - in das Schweizerische Hautfarbenregister eingetragen, eine Datenbank, die sowohl analog als auch digital einsehbar ist.
Anneli erblickt den mittelgroßen Mann mit mandelförmigen Augen, High Top Fade, einem dunkelbraunen Lammfellmantel und Chelsea Boots in schwarz-rotem Schlangenleder zuerst. Sie macht mit einem lauten Rülpsen auf sich aufmerksam. Thor wendet verstohlen den Blick vom Boden auf die ebenfalls mittelgroße Frau mit graublauen Kulleraugen, dunkelblonden Wellen, einer mit Schaffell gefütterten weißen Jeansjacke und Buffalo-Plateaustiefeln in Zebramuster. Anneli grinst, Thor schwitzt. Sie geht zielstrebig auf ihn zu und stellt sich vor ihn hin - nur wenige Zentimeter trennen ihre Nasenspitzen jetzt noch voneinander.
ANNELI Lass uns gemeinsam ins Kino gehen.
THOR Warum ins Kino?
ANNELI Willst du lieber in den Zoo?
THOR Warum nicht?
ANNELI Was ist dein Lieblingstier?
THOR Der Pinguin.
ANNELI Kennst du den Witz, wo ein Mann an der Grenze angehalten wird, weil er Babypinguine im Kofferraum hat, und der Grenzpolizist schockiert sagt, die gehören doch in den Zoo, und der Mann gibt ihm recht, aber am nächsten Tag wird er wieder mit Babypinguinen im Kofferraum angehalten, und auf die entsetzte Frage des Grenzpolizisten, warum er sie nicht in den Zoo gebracht habe, entgegnet der Mann vergnügt: »Na das habe ich doch. Gestern waren wir im Zoo, und heute gehen wir ins Schwimmbad!«
THOR Nein, den kenne ich nicht. Aber der Mann muss weiß gewesen sein.
ANNELI Warum?
THOR Weil er sich sonst keinen Scherz mit einem Polizisten erlauben wurde.8
ANNELI Willst du jetzt mit mir ins Kino oder nicht?
THOR Ich weiß nicht.
ANNELI Komm jetzt.
THOR Ich habe keine Zeit.
ANNELI Vorschlag: Wir treffen uns in zwölf Stunden, nämlich .
Anneli hält Ausschau nach einer Zeitangabe, findet aber keine und erblickt stattdessen einen verloren dreinblickenden, blonden Mann, Typus Gérard Depardieu.
ANNELI Hey, du!
HERR BANAL Äh, ja?
ANNELI Wie spät ist es?
HERR BANAL Moment. Es ist . 08:11 Uhr.
ANNELI Also, wir treffen uns heute um 20:11 Uhr hier am Bellevue und gehen dann gemeinsam ins Kino Arthouse Le Paris.
HERR BANAL Ich bin verheiratet.
ANNELI Nicht du. Er.
THOR Ich?
HERR BANAL Ach so, natürlich.
An jenem Abend setzt Thor seinen kleinen Bruder mit einer Flasche lauwarmem Rivella blau vor die Glotze und erreicht mit pochendem Herzen das Zürcher Bellevue. Die Zeiger stehen auf 20:12 Uhr, als Anneli eintrudelt. Während die beiden wortlos zum Kino schlendern, beschleicht Thor das unangenehme Gefühl, verfolgt zu werden - was er sich mit dem Trauma seiner Schiffsreise erklärt. Denn die schäumenden Wellen des Ozeans überfluten immer dann sein Schweizer Idyll, wenn er am wenigsten damit rechnet. Sie spülen Wahnvorstellungen an seine Gedankenufer und wirbeln seine Träume auf, versalzen seine Wahrnehmung und tragen seine Jugend fort, weit weg ins offene Meer.
Als sie das Kino erreichen, entscheiden sie sich für den Rosenkrieg. Dank der Werbung haben sie nichts vom Film verpasst. Thor ist erleichtert, dass er jetzt für eine Weile keine Konversation betreiben muss, und Anneli, dass ihre Lebenssituation besser ist als die der Figuren. Sie lachen für eine Stunde und siebenundfünfzig Minuten.9
1 Was klingen mag wie eine Teegebäcksorte, ist das schweizerdeutsche Wort für einen Spießer.
² Ein Schlauchboot.
³ Er arbeitet sieben Tage die Woche in der Fabrik.
4 Zehn Quadratmeter.
5 Temporäre Wohnsiedlung für Asylbewerbende.
6 Löcher in die Luft starrt.
7 Nicht von der Polizei kontrolliert, verhaftet und abgeschoben zu werden.
8 Thor kann keine Umlaute aussprechen, eine seltene Verfassung, die unter dem Begriff »Dystremanie« bekannt ist.
9 Spoiler Alert: Ihr Lachen ist nicht von Dauer.