Der Lärm drang brutal in Clare Harts Bewusstsein und riss sie schmerzhaft aus einem traumlosen Tiefschlaf. Mit klopfendem Herzen setzte sie sich auf und schob eine Haarsträhne aus ihrer Stirn. Es war ihr Handy, das auf dem Nachttisch zappelte. Sie griff danach und warf dabei ein Glas Wasser um. Hastig schüttelte sie die Tropfen vom Telefon und auf die schlafende Katze. Fritzi fauchte ungehalten und bohrte die Krallen in den nackten Schenkel ihres Frauchens. Clare fing die winzige blutige Perle mit dem Finger auf, bevor sie auf das Laken tropfen konnte.»Hexe«, zischte sie. Die Katze stolzierte mit in hoheitsvoller Entrüstung erhobenem Schwanz aus dem Raum.»Dr. Hart?«, knisterte es fragend aus dem Telefon.Clare wickelte sich die Daunendecke um den nackten Leib. »Wer ist da?« In ihrem Schlafzimmer war der Empfang immer schlecht.»Captain Riedwaan Faizal. South African Police Service.« Von null auf hundert hellwach, schoss Clare hoch. »Wo bist du?« Die andere Hälfte des Bettes war leer. »Unten. Mach mir auf.«»Du Hurensohn!« Clare konnte ihre Erleichterung nicht verhehlen.»Sag das meiner Mutter.« »Wo ist mein Tee?«»Komm schon, Clare. Es ist eiskalt hier draußen, und der Wachmann wird langsam misstrauisch.«»Du kennst die Regeln, Riedwaan. Du kriegst Sex und ein Bett für die Nacht, dafür bekomme ich meinen Tee ans Bett.«»Ich versuche dir das auszutreiben. Also habe ich dir stattdessen einen Cappuccino und ein warmes Croissant besorgt.«Clare griff nach dem Morgenmantel. »Genehmigt. Einen Moment.« Sie drückte den roten Knopf auf der Gegensprechanlage und lauschte auf den dumpfen Schlag, mit dem Riedwaans Schulter die Glastür aufdrückte. Er kam herauf und brachte einen Schwall kalter Morgenluft und zwei dampfende Kaffeebecher mit.»Giovanni's. Mein Lieblingskaffee.« Clare nahm ihm die Pappbecher ab und ging voran in die Küche.Riedwaan folgte ihr durch den Flur. »Vielleicht solltest du mir einen Schlüssel überlassen. Dann hätte ich ihn dir ans Bett gebracht.« Er schüttete die Croissants auf einen Teller und öffnete die Mikrowelle.Clare zog den Plastikdeckel von ihrem Kaffee. »Vielleicht.«Sie schnappte sich die Cape Timest die er sich unter den Arm geklemmt hatte, und ging ins Bett zurück. Es lag Jahre zurück, da hatte Clare ein einziges Mal zugelassen, dass ihre Bastionen geschleift wurden. Die Folgen waren verheerend gewesen. Es brauchte schon mehr als ein Frühstück im Bett, damit sie ihre Abwehr noch einmal aufgab.Als Riedwaan mit den warmen Croissants das Schlafzimmer betrat, hatte sich Clare bereits Zeitung lesend an die Kissen gelehnt. Dabei hatte sich ihr locker umgelegter Morgenmantel leicht geöffnet. Sie beugte sich hinüber, um sich ein Croissant zu nehmen.»Das liebe ich so an dir.«»Was denn?«, fragte Clare mit vollem Mund.»Dass du aufwachst und sofort Hunger hast.« Er streckte die Hand aus und berührte sanft ihre Brust. Die Luft kam ihm dünn vor, fast als wäre der Sauerstoff so knapp, dass er ihn einteilen müsste. Er strich mit der Hand an ihrem Körper hinab und über ihre Hüfte. Clare stellte ihren Becher auf den Nachttisch und rutschte nach unten. Sie zog Riedwaan zu sich, ihre geübten Finger lösten die Knöpfe und suchten die seidig glatte Wärme der dunklen Haut auf seinem Bauch, seinem Rücken.»Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist«, flüsterte sie.Riedwaan lächelte sie an. »Bei so einem Empfang würde ich jederzeit zurückkommen.«Als er wieder nach seinem Kaffee griff, war er kalt geworden ...»Zeit zum Aufstehen«, sagte Clare.»Bleib noch ein bisschen.« Riedwaan nahm sie fester in seine Arme. »Du willst schon wieder weg?«»Ich hab was zu erledigen.« Clare wand sich aus seinem Griff und verschwand im Bad nebenan.Riedwaan lauschte ihrem Summen, während das Wasser rauschte und Schränke geöffnet und wieder geschlossen wurden. »Summst du auch, wenn ich nicht hier bin?«, fragte er.Das Summen verstummte. »Das geht dich nichts an.«Er wälzte sich auf den Bauch und schaute auf das graue Meer, das sich gegen die Felsen warf. Eigentlich hatte er Clare gestern Abend erzählen wollen, dass seine Frau beschlossen hatte, nach Südafrika zurückzukehren.Als sie aus dem Bad kam, trug sie einen Jogginganzug. »Kommst du mit?« Sie bückte sich und zog ihre Laufschuhe an.»Du machst Witze.«Clare fasste unter die Decke und legte die kalten Hände auf Riedwaans Brust. »Von wegen. Ab und zu mit mir rumzumachen reicht nicht als Ausgleichssport.« Sie drehte sich an der Tür zu ihm um, wobei die Sonne auf ihr Gesicht und auf die Andeutung eines Lächelns fiel.»Clare, ich wollte dir ...«»Was?« Sie zog eine Braue hoch.Aber Riedwaan brachte es nicht übers Herz, die entspannte Atmosphäre zwischen ihnen zu zerstören. »Spiegeleier oder Rührei?«»Hart gekocht wäre passend, meinst du nicht? Und gib Fritzi was zu fressen! Dann greift sie dich nicht an.« Die Tür knallte zu, und sie war weg, zwei Stufen auf einmal nehmend.
Eintausendsechshundert Kilometer Luftlinie weiter nördlich lag Herman Shipanga wach in der kalten Morgendämmerung, während sich die Feuchtigkeit durch seine dünne Matratze bohrte. Dicht aneinandergekauert suchten die Häuser Schutz vor dem Wind, der stöhnend durch die freiliegenden Dünen der Namibwüste fegte und den schmalen Durchgängen zwischen den Häusern ein hyänenhaftes Lachen entlockte. Er zwängte sich durch die Ritzen zwischen den Backsteinen und durch die Spalten in Türen und Fenstern; er suchte und fand jedes zarte Glied, das im Schlaf unter der Decke hervorgerutscht war.Endlich hörte er es: das immer wiederkehrende alltägliche Sirenenheulen, das durch Walvis Bay schnitt. Shipanga warf die Decke zurück und ignorierte den Protest seiner beschädigten Hüfte. Er stieg über die Kinder hinweg, die auf dem Boden schliefen, füllte eine Schüssel mit Wasser und ging nach draußen, um sich zu waschen. Gerade als er das eisige Wasser wegschüttete, heulte die Sirene zum zweiten Mal. Die Fischmehlfabrik, die über den daran klebenden Häusern aufragte, rülpste gelben Rauch aus. Der Gestank ließ Shipanga würgen. Er trat wieder in das dämmerige Haus.Seine Frau war schon auf und rührte Haferbrei auf der Doppelkochplatte. »Inzwischen solltest du dich daran gewöhnt haben. Der Gestank des Geldes«, sagte sie zur Begrüßung und reichte ihm eine Schale. Er schaufelte den Porridge ohne jeden Appetit in sich hinein.Dann zog er seine Jacke über den blauen Overall. Die Kinder rutschten im Schlaf zusammen wie Welpen, die sich in die Wärme der anderen Körper schmiegen. Bevor Shipanga ging, bückte er sich und strich über die glatte Stirn seines Jüngsten.Draußen trottete er mit schweren Schritten los, die durch die leeren Straßen hallten. Der zähe Nebel teilte sich für ihn. Eine Mülltonne, ein angekettetes Fahrrad, eine Frau, die ihren Hund ausführte, schälten sich gerade noch rechtzeitig aus dem Nebel, sodass er einen Zusammenprall vermeiden konnte. Er nahm eine Abkürzung durch die Gasse zwischen den sandigen Plätzen, die die Hinterhöfe der Häuser bildeten. Sie führte ihn an die Rückseite der Schule.