Aufsätze zur Psychiatriegeschichte

Wie schon in seinen Psychiatriegeschichten >Vom Tollhaus zum Psychozentrum< (1993) behandelt der Psychiater Christian Müller (Jahrgang 1921), einer der frühen Schweizer Psychiatriereformer, in über zwanzig Aufsätzen verschiedene Themen der Psychiatriegeschichte. Die Aufsätze sind weder chronologisch geordnet noch einem Leitthema verpflichtet; es handelt sich bei ihnen um die Ernte eines alten Psychiaters, der über die unterschiedlichsten Inhalte der Psychiatrie in historisch und fachlich profunder Weise spannend und allgemeinverständlich erzählt.
Müller spannt den Bogen von den Geisteskranken in Frankreich vor Pinel, über den Neurotiker Goethe, die psychiatrischen Kenntnisse der Gebildeten um 1800, den Wahnsinn der eifrig Studierenden, die Geschichte der Dezentralisierung psychiatrischer Institutionen, den Skandal der verspäteten Verlaufsforschung, den Briefwechsel zwischen August Forel und Dumeng Bezzola, den Tagesablauf eines psychiatrischen Chefarztes um 1900 bis zu Hermann Rorschach und die Psychoanalyse respektive bis zur Rezeption der Rorschachschen Psychodiagnostik in den ersten zehn Jahren. Daran schließt sich eine kleine Galerie psychiatrischer Koryphäen an.
Weiter erfährt der Leser Lesenswertes über die Beziehung zwischen christlichem Glauben und Geisteskrankheit, den terroristischen Mord der psychiatrisch verwahrten Tatjana Leontjewa, die Lektüre eines Psychiaters zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Erlebnisse des Psychosomatikers Walter Heinrich von Wyss an der russischen Front im Ersten Weltkrieg, den Psychoanalytiker Emil Oberholzer als Assistenten bei Eugen Bleuler und Analysanden bei Sigmund Freud, über Morde an Psychiatern, die Probleme des sozialpsychiatrisch orientierten italienischen Psychiaters Franco Basaglia, schweizerische Erinnerungen an die DDR-Psychiatrie und die Beziehung zwischen Traum und Psychose. Den Abschluß bilden Anekdoten über Eugen Bleuler.