Supply Chains mit hohen Absatzrisiken sind gekennzeichnet durch kurze Verkaufszyklen, einen hohen Anteil an Impulskäufen, eine schwer prognostizierbare Nachfrage, eine hohe zeitliche und räumliche Verfügbarkeit der Produkte, lange Durchlaufzeiten und eine hohe Variantenanzahl.
Insbesondere Mode-Supply-Chains stellen idealtypische Beispiele für Supply Chains mit hohen Absatzrisiken dar. Diese finden sich auch in der Modelltheorie von Diruf wieder, die den Rahmen für die quantitativen Analysen dieser Arbeit bildet. Den Ausgangspunkt der Modelltheorie stellt das traditionelle Newsvendor-Modell dar, das in der einfachen Form davon ausgeht, dass der zu produzierende Artikel nach Ablauf der Verkaufssaison nur mehr unter Einstandspreis (also mit Verlust) verkauft werden kann.
Die Risikosituation des Newsvendor-Modells ist durch folgenden Entscheidungskonflikt charakteristisiert: Disponiert der Produktionsplaner Produktionsmengen, die wesentlich kleiner sind als die Prognosewerte der Absatzmengen, dann ist die Wahrscheinlichkeit für Fehlmengen hoch. Allerdings treten auf diese Weise mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Übermengen auf. Je größer man die Produktionsmengen plant, desto kleiner wird die Fehlmengenerwartung, desto höher steigt aber andererseits die Übermengenerwartung. Fehl- und Übermengen führen in Form von Fehlmengen- und Überdeckungskosten zu Absatz-risikokosten. Optimale Dispositionsstrategien haben das Ziel, den Erwartungswert der Absatzrisikokosten zu minimieren.
Erweitert wird das traditionelle Newsvendor-Modell in der Modelltheorie von Diruf um einen zweiten möglichen Bestellzeitpunkt. Es entsteht die Alternative, zu einem frühen Zeitpunkt (dem so genannten Priorzeitpunkt) eine Teilproduktionsmenge festzulegen. Die betrachteten Modeprodukte für die "kommende" Verkaufssaison können teilweise oder zur Gänze auf Normalkapazitäten oder mit Hilfe von Reaktivkapazitäten (zum so genannten Posterior-zeitpunkt) produziert werden. Normalkapazitäten sind relativ kostengünstig und unbegrenzt verfügbar, haben allerdings den Nachteil langer Planungs-, Vorlauf- und Durchlaufzeiten (Festlegung zum Priorzeitpunkt). Reaktivkapazitäten können demgegenüber relativ rasch und flexibel auf veränderte Nachschubmengenplanungen reagieren, sie stehen kurzfristig aber nur dann zur Verfügung, wenn sich das Modeunternehmen an den Leerkapazitätsrisiken beteiligt. Darüber hinaus können Reaktivkapazitäten höhere Fertigungskosten aufweisen. Der Produktionsplaner hat mit langer Vorlaufzeit den Mengenflexibilitätsbereich festzulegen, durch den die Größe der später verfügbaren Reaktivkapazität (die Kapazitätsoption) bestimmt wird.
Eine wesentliche Ausdehnung des Entscheidungsszenarios erfährt die Modelltheorie dadurch, dass die Betrachtung von einzelnen Artikeln auf die Betrachtung von ganzen Teilsortimenten produktionstechnisch verwandter Artikel ausgeweitet wird. Produktionstechnisch verwandt sind Artikel oder Produktvarianten, deren Vorprodukte weitgehend übereinstimmen und mit minimalem Umrüstaufwand auf denselben Kapazitäten gefertigt werden können. Ein variantenflexibler Produktionsprozess, der ein Teilsortiment von m Artikeln oder Produkt-varianten umfasst, reduziert die Unsicherheit der geplanten Produktionsmengen durch Risk-Pooling-Effekte. Die Variantenflexibilität von Produktionsprozessen kann entweder dazu eingesetzt werden, um bei gegebener Mengenflexibilität (gegebener Kapazitätsoption) die Absatzrisikokosten (Über- und Fehlmengenkosten) zu senken oder um bei gegebenem Niveau der Absatzrisikokosten an der eingesetzten Mengenflexibilität zu sparen.
Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt darin, die Struktur der Nutzenpotenziale alternativer Flexibilitätsstrategien in vertiefter Form zu untersuchen.
Als operative Flexibilitätsindikatoren des Produktionsprozesses dienen dabei die Gesamtmengenflexibilität (in Form einer Kapazitätsoption), die Reaktionszeiten (als Resultat der Prognoseverbesserung) und die Variantenflexibilität, die sich durch die Anzahl technisch verwandter Produkte bestimmt, die mit demselben System produziert werden können.
Reihe
Schriftenreihe Logistik und Supply Chain Management
1
Thesis
Dissertationsschrift
2009
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Sprache
Zielgruppe
Illustrationen
Maße
ISBN-13
978-3-923507-88-7 (9783923507887)
Schweitzer Klassifikation