ZUM GEBRAUCH
Dieses Buch verdankt sich einer Idee, die lange gärte. Jedenfalls waren mir die Alben von Tim und Struppi von meiner Kindheit an bis heute eine ewige Quelle der Inspiration. Warum? Weil die Abenteuer, die der geniale Hergé nicht nur ins Bild setzte, sondern auch mit einer wunderbar witzigen Sprache versah, die condition humaine in all ihren Rätseln, Schattierungen und Überraschungen porträtiert. Es scheint hier alles zu geben, was es in der realen Welt mindestens ebenfalls geben könnte (außer Sex, aber das ist ein anderes Thema), woraus grandiose intellektuelle Heiterkeit resultiert. Auch deshalb kann man von Menschenkunde sprechen: von einer ebenso klugen wie hintersinnigen Philosophie über uns selbst.
Und die Idee? Nichts anderes, als eine Reihe von Bildern aus den über zwanzig Bänden heranzuziehen, um aufzuzeigen, welch präzise Beobachtungen des Menschlichen darin enthalten sind. Der analytische Blick auf die Bilder von Tim und Struppi bildet also die entscheidende Grundlage für die vorliegende Menschenkunde. Hergé kreiert archetypische Situationen, deren Universalität es ermöglicht, von den Bildern ausgehend und darauf aufbauend weiterzudenken und eigene gedankliche Erkundungen zu unternehmen. Dabei entdeckte ich auch eine Definition des Lebens, die zwar keineswegs revolutionär ist, doch auf ideale Weise mit dem Thema dieses Buches konvergiert.
Leben ist, so könnte man sagen, die Überwindung von Widerstand. Der erste Widerstand wird durch die Geburt besiegt. Dem vermutlich letzten haben wir nichts mehr entgegenzusetzen. Dazwischen öffnet sich ein weites Feld. Dabei lernen wir, mit Herausforderungen und Gefahren, aber auch mit Chancen und Belohnungen umzugehen. Wir passen uns an, stellen uns um, suchen Wege und Umwege, werden zurückgeschlagen, beginnen von vorn, erwerben Erfahrung, werden dabei zu Skeptikern oder zu Optimisten. Kurz, wir sind eingeschifft, und das Meer bleibt stürmisch.
All dies steckt in den Abenteuern von Tim und Struppi. Und es setzt sich fort in unseren eigenen Lebenswelten, wenn wir nur wach und aufmerksam bleiben. Manches liest sich immer noch eins zu eins. Anderes findet sich durch die Metamorphosen der Zeit in neuem Gewand. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass der junge Hergé für seine frühen Alben durch eine Brille sah, die gewisse Stereotype bediente. Was heute undenkbar wäre, sprach damals aus dem kolonialistisch geprägten Zeitgeist seiner Epoche. Dass einige seiner Sequenzen aus heutiger Sicht problematisch sind, hat Hergé später selbst eingeräumt. Diesen Hintergrund gilt es mitzudenken, wenn man sich mit Tim und Struppi auf Reisen begibt. Auch die Beschäftigung mit ihren Abenteuern gibt es nicht immer ohne Widerstand.
Den Widersprüchlichkeiten und Widerständen des Lebens zum Trotz gilt: Ohne Humor geht nichts, ohne Ironie und Augenzwinkern ebenfalls nicht. Und schließlich: Wären wir so frisch und mutig wie Tim und Struppi, die Welt wäre eine bessere. So viel ist gewiss.