Wenn man genau im richtigen Alter ist, wie es Mma Ramotswe war, und wenn man ein bisschen was vom Leben gesehen hat, was bei Mma Ramotswe ganz bestimmt zutraf, dann gibt es Dinge, die man einfach weiß. Und eine Sache, die Mma Ramotswe, Gründerin der No. 1 Ladies' Detective Agency (Botswanas einziger von Frauen geführter Detektei), ganz sicher wusste, war, dass im Leben zwei Sorten von Problemen auftauchen konnten. Zuerst gab es solche - und das waren die größten, bei denen man nicht viel tun konnte, außer hoffen natürlich. Diese Probleme hatten mit dem Land zu tun, mit Feldern, die zu steinig waren, mit Erde, die vom Wind fortgeweht wurde, oder mit Orten, wo die Saat einfach nicht gedieh, weil in der Erde selbst eine Krankheit lauerte. Aber bedrohlicher als alle anderen Probleme war die Dürre. Es war in Botswana ein vertrautes Gefühl, den Regen herbeizusehnen, der oft einfach ausblieb oder zu spät kam, um die Ernte zu retten. Und dann verdorrte alles in der erbarmungslosen Sonne, das gebrandmarkte und ausgelaugte Land bekam tiefe Risse, und es schien, als könne nur ein Wunder es je wieder zum Leben erwecken. Aber irgendwann geschah dieses Wunder, wie es schon immer geschehen war, und dann küsste der Regen die braune Landschaft wach und färbte sie innerhalb weniger Stunden wieder grün. Und auf das Grün folgten weitere Farben: Gelbe, blaue und rote Flecken erschienen auf dem Feld, als hätte eine unsichtbare Hand große Brocken Farbpigmente zerkrümelt und darübergestreut. Es waren die Farben der Wildblumen, die die ganze Trockenzeit über im Boden geschlummert und darauf gewartet hatten, dass die ersten Tropfen Feuchtigkeit sie wieder zum Leben erweckten. So hatte zumindest diese Sorte Problem ihre Lösung, auch wenn man oft lange, trockene Monate darauf warten musste.Die andere Sorte von Problemen war die, die sich die Menschen selbst schufen. Diese Sorgen waren sehr verbreitet, und Mma Ramotswe hatte sich im Laufe ihrer Tätigkeit mit vielen davon befasst. Seit sie, nur mit einem Exemplar von Clovis Andersens Die Prinzipien privater Nachforschung und einer großen Portion gesundem Menschenverstand bewaffnet, ihre Privatdetektei gegründet hatte, war kaum ein Tag vergangen, an dem sie nicht mit dem ein oder anderen Problem konfrontiert gewesen wäre, das die Menschen selbst heraufbeschworen hatten. Im Gegensatz zur ersten Sorte von Problemen - Dürre und ähnlichen Dingen - handelte es sich hierbei um Schwierigkeiten, die vermeidbar gewesen wären. Wenn sich die Menschen doch nur vorsichtiger verhalten würden oder sich benähmen, wie es sich gehörte, dann müssten sie sich nicht mit Problemen dieser Art auseinandersetzen! Aber natürlich benahmen sich die Leute nie, wie es sich gehörte. "Wir sind alle nur Menschen", hatte Mma Ramotswe einmal zu Mma Makutsi gesagt, "und Menschen können nun mal nicht anders. Ist Ihnen das auch schon aufgefallen, Mma? Wir können nicht anders, als ständig in alle möglichen Schwierigkeiten zu geraten."Mma Makutsi dachte eine Weile darüber nach. Im Allgemeinen fand sie, dass Mma Ramotswe mit derartigen Aussagen recht hatte, aber diese spezielle These erforderte ihrer Meinung nach ein wenig mehr Überlegung. Sie wusste, dass es Leute gab, die nicht in der Lage waren, ihr Leben wunschgemäß zu gestalten, aber schließlich gab es auch genügend andere, die sich durchaus unter Kontrolle hatten. Sie selbst fand, dass sie Versuchungen recht effektiv zu widerstehen verstand. Zwar hielt sie sich nicht für besonders stark, doch schien sie auch nicht auffallend schwach zu sein. Sie trank nicht und sprach nicht übermäßig dem Essen zu, Schokolade oder solchen Dingen. Nein, Mma Ramotswes Bemerkung war ein wenig zu pauschal, sie würde ihr widersprechen müssen. Aber dann drängte sich ihr ein Gedanke auf: Konnte sie wirklich einem schönen Paar neuer Schuhe widerstehen, selbst wenn sie gewusst hätte, dass sie bereits eine ganze Menge Schuhe besaß (was nicht einmal der Fall war)?"Ich denke, Sie haben recht, Mma", sagte sie. "Jeder hat irgendeine Schwäche, und die meisten von uns sind nicht stark genug und geben ihr schließlich nach."Mma Ramotswe sah ihre Assistentin an. Sie hatte da so eine Ahnung, was Mma Makutsis Schwäche sein könnte, tatsächlich gab es vielleicht sogar mehr als eine."Nehmen Sie beispielsweise Mr. J.L.B. Matekoni", sagte Mma Ramotswe."Alle Männer sind schwach", warf Mma Makutsi ein. "Das ist allgemein bekannt." Sie hielt inne. Jetzt, da Mma Ramotswe und Mr. J.L.B. Matekoni verheiratet waren, hatte Mma Ramotswe möglicherweise neue Schwächen an ihm entdeckt. Der Automechaniker war ein ruhiger Mann, aber es waren oft gerade die sanft wirkenden Menschen, die die seltsamsten Dinge taten, heimlich, versteht sich. Was Mr. J.L.B. Matekoni wohl alles anstellte? Sie war sehr gespannt."Kuchen", erklärte Mma Ramotswe schnell. "Kuchen ist Mr. J.L.B. Matekonis große Leidenschaft. Bei Kuchen kann er einfach nicht widerstehen. Man kann ihn sehr leicht manipulieren, wenn er einen Teller Kuchen in der Hand hält."Mma Makutsi lachte. "Mma Potokwani weiß das genau, nicht wahr? Ich habe gesehen, wie sie Mr. J.L.B. Matekoni allein mit ihrem Obstkuchen dazu brachte, alles Mögliche für sie zu tun."Mma Ramotswe rollte die Augen zur Decke. Mma Potokwani, die Hausmutter der Waisenfarm, war ihre Freundin und alles in allem eine herzensgute Frau, aber ziemlich rücksichtslos, wenn es darum ging, den Kindern in ihrer Obhut Vorteile zu verschaffen. Sie war es gewesen, die Mr. J.L.B. Matekoni die Pflege der beiden Kinder aufgeschwatzt hatte, die nun in ihrem Haus lebten. Das war natürlich eine gute Sache gewesen, und die Kinder wurden innig geliebt, aber Mr. J.L.B. Matekoni hatte die Angelegenheit nicht richtig durchdacht und es sogar versäumt, sich vorab mit Mma Ramotswe zu beratschlagen. Und dann waren da die zahlreichen Arbeitsstunden, die er auf Wunsch von Mma Potokwani auf der Waisenfarm geleistet hatte, um die unzuverlässige alte Wasserpumpe zu reparieren - eine Pumpe, die noch aus Zeiten des Protektorats stammte und schon vor langer Zeit hätte ausgemustert und in ein Museum gesteckt werden sollen. Und Mma Potokwani erreichte all dies, weil sie genau wusste, wie Männer dachten und wo ihre Schwächen lagen.