Zum ersten Mal saß ich neben ihr an ihrem Lieblingstisch.
>Sie spionieren mir nach<, sagte sie. >Was denken Sie sich eigentlich dabei?<
Ich sagte: >Mein Herz ist eine traurige Zeit,
Die tonlos tickt<.
Und damit waren wir Komplizen.
>Ich brauche einen verschwiegenen Freund für ein Geheimnis<, sagte sie. >Sie schreiben doch
Gedichte?<
Ich zögerte, aber dann nickte ich, und sie nannte mich Tasso. Es war die erste literarische
Auszeichnung meines Lebens und es blieb die einzige. Ich wusste damals von ihrer Angewohnheit,
allen ihren Freunden andere Namen zu geben, Gottfried Benn hieß bei ihr Giselheer,
der Nibelunge. Mich aber nannte sie Tasso! In diesem Augenblick war ich frei von jeglichem
Zweifel an ihrer prophetischen Gabe und hielt meine literarische Karriere für gesichert.
>Ich bin eine vorzügliche Menschenkennerin<, sagte sie. >Ich irre mich nie. Und Sie sind treu,
Sie folgen mir schon lange. Ich glaube, Sie sind der Mann, den ich suche.<
Ich rührte in meinem Kaffee und mied ihren Blick.
Sie sagte: >Wenn ich tot bin,
Spiele du mit meiner Seele.<
Da schaute ich sie an. Sie grinste.