Der Buchbinder
In dem Posenschen Städtchen Rackwitz wohnte ein Buchbinder, ein trefflicher Mann, nur schade, daß er ausschließlich Hebräisch und nicht auch Deutsch zu lesen verstand. Diese Unkenntnis spielte ihm einmal einen bösen Streich, denn er hatte einige Blätter aus Boccaccios Dekameron, und zwar einige besonders pikante, mit den Blättern einer Bibelübersetzung zusammengebunden. Man stelle sich das Entsetzen des frommen Lesers oder der keuschen Leserin vor, als aus dem Schlusse einer Seite mit dem Anfang der nächsten folgendes Histörchen entstanden war: "Und Josua sprach zum Volk: Heiliget euch! denn morgen wird der Herr ein Wunder unter euch tun. Weiter brauchte es kein Wort. Die Dame, die am ganzen Leibe vor Liebesverlangen glühte, warf sich ihm augenblicklich in die Arme, und nachdem sie ihn in verlangender Umschlingung wohl tausendmal geküßt hatte, standen sie auf und gingen in die Kammer."
Josua und Boccaccio!
Der brave Buchbinder kam, als man ihm wegen seiner fehlerhaften Arbeit Vorwürfe machte, durchaus nicht aus der Fassung. Er sagte beruhigend: "Das schadet nicht, durchaus nicht, wer's versteht, nimmt keinen Anstoß dran, und wer's nicht versteht, erst recht nicht."