Die schöpferische Ohnmacht des Wortes
Der »Gartenduft aus frühen Jahren«: Kindheit, Jugend, erstes öffentliches Wirken
»Was wir umbringen«: Im Widerschein der Fackel
»Ich bin nur einer von den Epigonen«: Im Haus der Sprache
»Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!« Zeitenwende
Die »Verjagung der alten Gespenster«
»Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte .«
Zur weiteren Vertiefung
Zeittafel
Durch Wien auf den Spuren von Karl Kraus
Anhang
Personenregister
Literaturverzeichnis
Bildnachweise
».dass ich ihn für den größten deutschen Satiriker halte, den einzigen in der Literatur dieser Sprache, den man neben Aristophanes, Juvenal, Quevedo, Swift und Gogol zu nennen ein Recht hat« ? so lautet das Urteil von Elias Canetti zu Karl Kraus (Canetti 1981 b, 256).
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es allerdings den Anschein, als würde Karl Kraus dem Vergessen anheimfallen, zu einer Fußnote der Literaturgeschichte herabsinken - bis es in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts zu einer ungeahnten Kraus-Renaissance kam, die sogar seine treuesten Anhänger überraschte. Dies hängt sicherlich unmittelbar mit der Tatsache zusammen, dass die österreichische Literatur nach den Schlammfluten des »Dritten Reiches« ein besonderes Bedürfnis verspürte, sich wieder verstärkt auf die eigenen Traditionen zurückzubesinnen und schöpferisch daran anzuknüpfen. Die neue Hinwendung zu Karl Kraus widerlegte eindrücklich seine Gegner, die prophezeit hatten, der an die Aktualität des Tages gebundene Schriftsteller würde zusammen mit den konkreten Anlässen seiner Satire in die Bedeutungslosigkeit versinken. Die Presse, Literaturbetrieb und Phraseologie, die Erotik und die Moral der Philister, Lüge und Krieg, die geschundene Kreatur - dies sind die vornehmlichen Themen der Kraus'schen Satire. Viele der konkreten Anlässe (und Personen) sind tatsächlich - wie er es selbst vielfach prophezeit hat - heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Bleibende Gültigkeit und unsterbliche Aktualität gewannen seine Texte eben durch die sprachliche Form, durch die Kraus diesen Ereignissen Gestalt verlieh.
Dass wir Karl Kraus die besten Witze und Wortspiele seiner Zeit, die schärfsten Satiren und treffsichersten Pointen verdanken, das wurde ihm vielfach attestiert. Einem breiten Publikum ist er bis heute vor allem durch seine Aphorismen bekannt. Sein Biograf Jens Malte Fischer nennt ihn denn auch in einem Atemzug mit Lichtenberg. In der Abbreviatur des Aphorismus gelingt es Kraus, die Fülle eines Gedankens in antithetischer Zuspitzung zur Sprache zu bringen. Wie anspruchsvoll gerade diese konzentrierteste sprachliche Gestaltungsform ist, hat Kraus selbst unübertroffen formuliert, wenn er etwa sagt: »Der längste Atmen gehört zum Aphorismus«, oder: »Einer, der Aphorismen schreiben kann, sollte sich nicht in Aufsätzen zersplittern.«