Es ist Montag. Am Freitag wurde demonstriert, am Samstag die Stärke der Bewegung gefeiert, am Sonntag wurden schöne Reden geschwungen. Jetzt beginnt die nächste Woche. Jetzt kommt das Team, das die Arbeit aufnimmt.
Vor uns liegen die Hinterlassenschaften der letzten Wochen, Monate und Jahre. Ein schier heilloses Durcheinander wie nach jeder großen Party: Lebensmittel, die zum Teil angebissen und verdorben, zum Teil aber noch frisch und genießbar sind. Leere, halbvolle und volle Flaschen. Dreckiges und sauberes Geschirr. Dazwischen ein Sammelsurium an Geräten, Handys, Schlüssel, Kabel, Stecker, Datensticks und vereinzelt leere CD-Hüllen - defekt, nutzlos oder einfach vergessen? Bunte Haftzettel mit Notizen an den Wänden, zusammengeknüllte Ideenpapiere auf dem Boden, fleckige Broschüren, zerfledderte Bücher mit Lesezeichen und Markierungen. Schals, Jacken, Regenschirme und ein alter Fahrradhelm.
Kurz: jede Menge Zeug. Ist davon irgendetwas noch zu gebrauchen?
Nun heißt es also aufräumen. Es soll nicht einfach alles in den Container gestopft und zur Müllverbrennung gefahren werden. Der Anspruch: das Brauchbare herausfiltern aus dem, was in der letzten Zeit gedacht, geredet und gestritten wurde. Das Ziel: aus der Begeisterung und der Wut eine Energie gewinnen, die sich nutzen lässt. Das Ergebnis: dieses Buch.
Dieses Buch ist kein Erinnerungsalbum, das nostalgisch die schöne Vergangenheit festhält, auch kein Gedächtniswerk, das mahnt, damit etwas nie wieder passiert. Dieses Buch schildert nicht in leuchtenden Farben die wunderbare Zukunft. Es malt auch nicht in dunkelsten Farben das Szenario eines baldigen Weltuntergangs.
Es ist das Buch, das Montagvormittag aufgeschlagen wird, wenn alle wieder die Arbeit aufnehmen. Es soll den Menschen dienen, die jetzt die Ärmel aufkrempeln und loslegen wollen. Denn es gibt viel zu tun. Wir müssen Entscheidungen treffen, Prioritäten setzen, Bewährtes fortführen, aber auch Experimente wagen. Dafür brauchen wir Grundlagen, Wissen, Fakten, Erkenntnisse und jede Menge Kraft.
Ich habe mir bei dem Thema Klimawandel, das so viele Menschen in Angst und Panik versetzt, den Optimismus auf die Fahne geschrieben. Martin Luther Kings berühmtester Satz heißt ja auch nicht »I have a nightmare«, sondern »I have a dream«. Träume geben Kraft. Zukunft braucht Zuversicht. Doch mit Träumen allein ist nichts gewonnen. Wir müssen handeln, wir müssen machen, wir müssen endlich ins Tun kommen.
Vor zwölf Jahren habe ich in meinem ersten Buch die enormen wirtschaftlichen Chancen echter Klimaschutzpolitik dargelegt. Es folgte ein Jahrzehnt aggressiver Torpedierung jeglicher Klimaschutzpolitik seitens der Gegner, weswegen ich zwei Bücher schrieb, um die gezielt gestreuten Mythen und Fake News zu widerlegen. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht noch ein Jahrzehnt mit rückwärtsgewandten Diskussionen vergeuden dürfen, sondern beherzt nach vorne gehen müssen. Es beginnt das Jahrzehnt, in dem es auf die Frage nach Klimaschutz nur noch Ja oder Nein als Antwort gibt.
Wir alle wissen: Die Uhr tickt. Wir haben noch ungefähr zehn Jahre oder knapp 420 Gigatonnen CO2 Zeit, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen 2. Also das Ziel, die Erde ungefähr so zu erhalten, wie wir sie heute kennen und wie sie uns die letzten tausend Jahre ein lebenswertes Zuhause geboten hat.
Es ist Zeit aufzuräumen. Es ist Zeit, für unsere globale WG ein paar Spielregeln aufzustellen, damit wir nicht am nächsten Montag vor einem sehr viel schlimmeren Desaster sitzen.
Es wird immer sichtbarer, dass der Klimawandel überall auf der Welt massiv voranschreitet und die bisherige Klimapolitik unzureichend war - trotz großer Anstrengungen. Jugendliche gehen seit über einem Jahr auf die Straße und fordern zu recht mehr Klimaschutz. Den jungen Menschen folgen die älteren und auch die ganz alten. Es kamen die Profis und inzwischen auch die Omas.
Es ist eine globale Bewegung geworden. Die Ungeduld wächst. Die Auseinandersetzungen werden härter. Manche macht das besorgt. Doch ich freue mich riesig darüber. Seit über 20 Jahren kämpfe ich für mehr Klimaschutz. Durch das Engagement der Fridays-For-Future-Bewegung wird deutlich, dass es eine überwältigende Mehrheit für den Wandel gibt. Lange Jahre wehrten sich die fossilen Konzerne mit allen Mitteln gegen die notwendige Umstrukturierung des Energiemarktes, mit Tricks, mit Kniffen und jetzt kämpfen sie immer aggressiver um ihre wirtschaftlichen Interessen. Die Lobbyisten der Vergangenheit bellen und beißen wie alte Rottweiler, aber den - inzwischen nicht mehr ganz so - jungen Welpen gehört die Zukunft.
Lass dich nicht frustrieren, weil du zu wenig Erfolge siehst. Es gibt sie! Mach eine kurze Pause und sammle frische Kraft, aber komm bitte so schnell wie möglich zurück. Wir brauchen dich. Das Umsteuern ist in greifbarer Nähe. Wir sind an einem Wendepunkt. Jetzt besteht die Chance für einen echten Wandel.
Die größte Gefahr: Statt nach vorne zu denken, stellen wir die Schuldfrage. Gerade diejenigen, die erst Ende der 1990er-Jahre oder Anfang des neuen Jahrtausends geboren wurden, stehen immer wieder fassungslos vor mir. Sie werden in einer Welt erwachsen, die am Abgrund steht, und erfahren jetzt: Ihre Eltern, die sogenannten »Babyboomer«, wussten all die Jahre Bescheid, dass die Welt Kurs auf diesen Abgrund nimmt.
Schon ist die Rede von einem Krieg der Generationen. Derlei mag eine journalistische Sensationslust befriedigen, ist aber sinnlos und kostet bloß Kraft, Nerven und Zeit, die wir nicht haben. Statt uns zu zerstreiten und zerspalten, sollten wir lieber gemeinsam Lösungen für die immer noch ungelösten Herausforderungen des Klimawandels finden.
Denn im Moment sind wir alle, ob wir wollen oder nicht, eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Wenn wir in der industrialisierten Welt leben, können wir uns der »CO2-Emissionskultur« derzeit nicht entziehen, egal wie sehr wir uns abstrampeln. Wenn also die junge Generation vorwurfsvoll auf die Älteren zeigt, dann werden die Generationen X und Y auf die Jüngsten zeigen und »Selber!« rufen. Und schon sitzen wir im altbekannten Klimakarussel, schieben die Schuldkarte weiter zum Nächsten und drehen uns im Kreis. Nein, so kommen wir nicht vorwärts.
Wir müssen die Gräben überwinden und Brücken bauen für echten Klimaschutz. Und zwar nicht nur für die Boomer, die Generationen X, Y und Z, sondern auch für die Menschen, die in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten erst noch auf die Welt kommen: die Generationen N1, N2 bis Nx. Denn sie müssen die Suppe auslöffeln, wenn wir nicht endlich aufhören sie einzubrocken.
Das wissen nicht allein die Jugendlichen. Das wissen auch all die Menschen, die »for Future« auf die Straße gehen. Eine im Frühjahr 2019 veröffentlichte Studie 3 zeigt, dass eine große Mehrheit der Deutschen (63 Prozent) Klimaschutz für ein sehr wichtiges Anliegen hält und ihm eine ähnlich hohe Bedeutung wie den beiden Top-Themen Bildung (69 Prozent) und soziale Gerechtigkeit (65 Prozent) gibt. Allerdings nur 14 Prozent der Menschen meinen, dass die Bundesregierung genug tut. Und das gilt über alle Generationen hinweg.
In einer repräsentativen Umfrage 4 vor der Hamburg-Wahl im Februar 2020 gaben 82 Prozent der Befragten im Alter 65plus an, ihnen sei Klimaschutz wichtig oder sogar sehr wichtig. Bei den 40 bis 64-Jährigen waren es 73 Prozent. Bei den 16 bis 39-Jährigen waren es 85 Prozent. Sie wären alle bereit, für einen besseren Umwelt- und Klimaschutz sogar höhere Preise zu akzeptieren.
Deswegen: Wechselseitige Schuldzuschreibungen und Vorwürfe, Beleidigungen und Beschimpfungen bringen uns nicht weiter. Im Gegenteil.
Ich stelle mir vor: Alle, die tatkräftig mitwirken wollen, versammeln sich um einen großen Tisch. Wir sehen lauter unbekannte Gesichter, entdecken vereinzelt alte Bekannte, begrüßen einander, reden durcheinander, alle haben Unsicherheiten und Wünsche, Hoffnungen und Ängste, die Ideen und Gedanken sprudeln. Jemand klopft mit dem Löffel ans Glas, die Stimmen eben ab, im Raum wird es ruhig.
Jetzt kommt das Buch auf den Tisch.
Es fasst zusammen, warum wir da sind, wo wir sind. Es listet auf, welche Kräfte wirken, welche Diskussionen geführt werden und welche Ideen es schon gibt. Es erzählt von Fehlern, aus denen wir lernen, und es berichtet von Erfolgen, die wir kopieren können. Es sammelt Fragen und Herausforderungen, skizziert Antworten und setzt einen Rahmen für die Suche nach den Lösungen. Am Ende steht eine Vielzahl von Aufgaben, die zu erledigen sind. Es ist nur der Anfang einer noch viel größeren To-do-Liste.
Der echte Zeit- und Maßnahmenplan muss erst noch entwickelt werden - und zwar von all denen, die das 21. zu einem Jahrhundert von Demokratie, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit machen wollen, kreuz und quer durch die Republik, von Görlitz bis Aachen, von Passau bis Wilhelmshaven von Freiburg bis Stralsund, ab sofort.
Bislang hat Deutschland nur ein halbherziges Klimapaket verabschiedet. Der mit großem Tamtam angekündigte Klimatiger landete als bescheidener Bettvorleger. Entschieden wurde nicht, was klimapolitisch notwendig ist, sondern lediglich, was politisch durchsetzbar schien. Da war die Mutlosigkeit größer als die Weitsicht. Wir müssen den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik deutlich machen, dass wir mehr verlangen. Wir packen einfach selber an.
Wir brauchen etwas, das größer ist als wir selbst, einen...