n einem milden Wintermorgen in Los Angeles, um Punkt acht Uhr und fünfzehn Minuten, startete eine 282 Lucent Industry vom Flughafen Burbank. Um genau zu sein, war es der West Air Flug 1324 mit siebenundvierzig Passagieren. Die voraussichtliche Flugzeit nach San Jose, Kalifornien, betrug eine Stunde und sechs Minuten, und der Aufenthalt an Bord sollte wie immer ohne Zwischenfälle ablaufen. Der Himmel war blau, es wehte eine sanfte Brise, und man hatte freie Sicht in alle vier Richtungen. Siebenundsechzig Sekunden später, die Nase noch nach oben gerichtet, scherte das Flugzeug zur linken Seite aus, drehte sich einmal komplett um die eigene Achse und begann mit dem Cockpit voran zu trudeln, bis es eine Stromleitung durchschnitt, ein letztes Donnergrollen von sich gab und in Flammen aufging. Die Detonation war so stark, dass man sie im Umkreis von fast zehn Kilometern hören konnte.Der größte Teil des brennenden Flugzeugrumpfes landete auf einem dreistöckigen Apartmenthaus in jenem Teil von Granada Hills, der dem West Valley zugewandt war, und verwandelte das Haus in ein Inferno. Fensterscheiben barsten, Gasleitungen explodierten, und ein Kurzschluss nach dem anderen erleuchtete mit blauen Blitzen den Himmel. Die achtzehn Wohneinheiten, aus Gips und Holz erbaut, wurden von Flammen in allen Farben des Regenbogens verschluckt. Der Lärm war ohrenbetäubend und erstickte die menschlichen Schreie. Ein scharfer Gestank nach Feuer, Rauch und Heizungsöl erfüllte die Luft, die kein Sauerstoffatom mehr zu enthalten schien. Fleisch verbrannte neben Metall; zersplitterte Möbel und Schutt wurden mehrere Meter weit geschleudert. Nach wenigen Augenblicken nur war aus einer grünen Vorstadt eine alles verschlingende Hölle geworden.Rina, die gerade den Löffel von ihrer Müslischale zum Mund geführt hatte, hielt mitten in der Bewegung inne und fragte ihren Mann: »Was war denn das?«»Keine Ahnung.« Die Lampen flackerten kurz und erloschen dann ganz, genauso wie der Fernseher, der Kühlschrank und wahrscheinlich jedes andere Elektrogerät im Haus. Decker griff nach dem schnurlosen Telefon und tippte eine Nummer ein, bekam aber keine Verbindung.Rina legte den Löffel in die Schale. »Tot?«»Ja«, sagte Decker und legte hoffnungsfroh, aber vergeblich mehrere Male den Lichtschalter um. Es war ungefähr acht Uhr morgens, und die Küche war bereits in ein angenehmes Licht getaucht, das keine elektrische Unterstützung brauchte. »Irgendwas ist hochgegangen, wahrscheinlich ein Haupttransformator.« Er verzog das Gesicht. »Aber eigentlich sollten davon die Telefonleitungen nichts abkriegen.« Er zog sein Handy aus der Tasche und versuchte, auf einer der Festnetznummern sein Büro zu erreichen. Als er wieder keine Verbindung bekam, schwante Decker, dass der Schaden größer sein musste als angenommen.Die Zweigstelle des Los Angeles Police Department im West Valley - früher einmal unter dem Namen Devonshire Division bekannt - lag nur wenige Kilometer von Deckers Haus entfernt. Auf dem Revier herrschten bei solchen Störungen normalerweise chaotische Zustände, wenn in der Zentrale die Notrufe von panischen Bürgern eingingen und die Leitungen zusammenbrachen. »Ich muss los, wahrscheinlich dreht die Telefonvermittlung gerade durch.«»Du hast noch gar nichts gegessen«, sagte Rina.»Ich hol mir was aus dem Automaten.«»Peter, wenn es nur ein Transformator ist, dann kannst du daran sowieso nichts ändern. Du wirst heute einen langen Tag haben, deshalb solltest du genug Energie tanken.«Das klang logisch, also setzte Decker sich wieder hin und goss fettarme Milch in seine Müslischale, in der schon Erdbeeren und Bananenscheiben lagen. »Na gut, die werden wohl noch fünf Minuten auf mich warten können.« Schweigend aßen sie jeder zwei Löffel. Decker bemerkte eine Falte auf Rinas Stirn. »Du machst dir Sorgen um Hannah.«»Ein bisschen.«»Ich fahre auf dem Weg zur Arbeit an ihrer Schule vorbei.«»Da wäre ich dir wirklich dankbar.« Rina suchte nach einem Thema, das sie beide ablenken würde, und wie üblich fielen ihr die Kinder ein. »Cindy hat gestern angerufen. Sie und Koby kommen Freitag zum Abendessen.«»Schön.« Decker schwieg, während er den letzten Löffel Müsli hinunterschluckte. »Was machen die Jungs?«»Mit Sammy habe ich gestern gesprochen; es geht ihm gut. Jacob ruft nur vor dem Sabbat an oder wenn er sich über etwas aufregt. Solange er sich nicht meldet, denke ich, dass bei ihm alles in Ordnung ist.«Decker nickte zustimmend, obwohl er in Gedanken längst das Notfallprogramm durchspielte. Er stand auf, um es noch einmal vom Festnetz aus zu probieren. Die Leitung blieb tot. »Läuft der Computer im Wohnzimmer immer noch auf Akku?«»Ich glaube schon.«»Ich habe eine Idee.« Decker stöpselte den kleinen tragbaren Fernseher aus und schleppte ihn in das Hinterzimmer.Rina folgte ihm und beobachtete, wie ihr Mann sich auf den Boden kniete und den Stecker des Fernsehers an den Akku anschloss. Der 7-Zoll-Bildschirm erwachte zum Leben. Decker suchte einen der Lokalsender, und obwohl es ein Farbfernseher war, zeigte das Bild zunächst nur schwarzgraue Umrisse und Schatten.»Was ist denn das?«, fragte Rina.»Ein Feuer.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, flackerten orangefarbene Flammen über den Bildschirm.Deckers Handy klingelte, und er nahm ab: »Decker am Apparat.«»Hier ist Strapp. Wo sind Sie?«Wenn ihn sein Vorgesetzter auf dem Handy anrief, musste die Lage ernst sein. »Ich bin noch zu Hause, aber schon auf dem Sprung ...«»Fahren Sie gar nicht erst ins Büro. Es ist etwas Furchtbares passiert, wir haben einen Flugzeugabsturz auf dem Seacrest Drive zwischen Hobart und Macon ...« »Großer Gott ...«»Was?«, fragte Rina, doch Decker bedeutete ihr mit einer Geste zu schweigen. »Ist es wegen Hannah?«Decker schüttelte verneinend den Kopf, während er allmählich begriff, was die Worte des Captains bedeuteten.»... auf ein Apartmenthaus gestürzt. Ein paar Feuerwehrleute sind schon da, aber die Einsatzkräfte werden Unterstützung von außen brauchen, und zwar so schnell wie möglich. Alle Einheiten werden nach Seacrest und Belarose geleitet. Wir erarbeiten gerade den Notfallplan.« »Ich kann in zehn Minuten da sein.« »Haben Sie ein Auto mit Blaulicht?« »Ja.«»Schalten Sie es ein!« Der Captain legte auf. »Was ist los?« Rina war ganz bleich. »Ein Flugzeugabsturz .«»Gott im Himmel!« Rina schnappte nach Luft.»Es hat ein Apartmenthaus getroffen .« Decker hörte auf zu sprechen, als er im Hintergrund das Heulen der Sirenen wahrnahm. Er zog seine Jacke von der Stuhllehne.»Wo?«»Seacrest ...«»Wo genau?«»Zwischen Hobart und Macon.«»Peter, das ist nur fünf Minuten von Hannahs Schule entfernt!«»Nimm den Volvo. Ich schleuse dich mit dem Blaulicht auf dem Dienstwagen zur Schule durch und fahre dann weiter zur Unfallstelle.«Rinas Blick hing noch immer wie gebannt am Bildschirm. Kommentarlos schaltete Decker den Fernseher aus. »Du kannst gleich alles im Radio hören. Komm jetzt!«Rina erwachte aus ihrer Starre und erkannte plötzlich die Tragweite dessen, was vor ihr lag: ein entsetzlich langer Tag, gefolgt von einer sehr, sehr langen Nacht. Sie würde Decker in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht zu Gesicht bekommen. Aber anders als die Reisenden im Flugzeug würde er irgendwann heimkehren. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und ihre Kehle schnürte sich vor Angst zu. Sie fand keine Worte.Erst draußen vor der Tür sagte sie zu ihm: »Sei vorsichtig, Peter.«Er nickte abwesend, öffnete die Fahrertür ihres Wagens, und sie stieg ein.»Ich liebe dich, Peter.«»Ich dich auch, und ja, ich werde vorsichtig sein.«»Danke, ich dachte schon, du hättest mich nicht gehört.«»Normalerweise liegst du mit deiner Vermutung genau richtig, aber jetzt würde ich sogar den Flügelschlag eines Schmetterlings hören. Das ist immer so, wenn es richtig zur Sache geht und alle Sinne auf Hochtouren laufen.«