Zwei Mal Halley
Im Flugzeug, 7/8. April 1986
Bei jedem neuen Fluge nach entferntem Ziel überraschen Fortschritte zur Perfektion. Dieser Satz hätte sich während meiner Kindheit gelesen wie in einem Roman von Jules Verne. Er hätte uns beflügelt - doch inzwischen zeichneten sich die Schatten ein. Die Flughäfen bei Nacht wirken dämonisch - nicht nur wegen der bis in die Ferne verteilten Lichter, die an die Versuchung des heiligen Antonius erinnern; es sind auch die Geräusche: man lauscht auf eine besondere Art. Man könnte sich daran gewöhnen; das wäre noch gefährlicher.
Als Ausnahme empfand ich die kurze Zwischenlandung in Dubai: bengalische Beleuchtung eines Wüstenfeldes in vielen Farben offenbar herrscht Überfluß an Energie. Jetzt, um zwei Uhr morgens, noch Lichterketten: vielleicht kehren Emire von üppigen Festen zurück.
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Wie erklärt sich diese Beschleunigung von Fortschritten - manchmal großen wie zum Düsenantrieb, aber auch minimalen des Komforts, der Beleuchtung, der Ersparung von Gängen und Handgriffen - im Rückblick auf den Anfang des Jahrhunderts, als noch bestritten wurde, daß Fliegen »schwerer als Luft« überhaupt möglich sei?
Damals, zur Zeit der Lilienthals, schien das Problem noch halb utopisch wie für Leonardo; einige Sonderlinge beschäftigten sich mit ihm. Heut fliegen Millionen, und Tausende treiben in den Büros die Entwicklung voran. Dazu die Verwaltung, der Bodendienst, die Flughäfen - während Abzweigungen wie die Raketentechnik und die Raumfahrt bereits in das nächste Jahrhundert hineingreifen.
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Inzwischen sind Großstädte durch Luftangriffe zerstört worden. Auch heftet sich der Luftfahrt eine besondere Kriminalität an wie jeder neuen Technik - vor allem, wenn sie merkurischen Charakter trägt. Wir haben vorm Abflug in Frankfurt und auch bei der Zwischenlandung hier in Dubai erfahren müssen, daß die Prüfung des Gepäcks und die Betastung wiederum gründlicher geworden sind. Selbst mein Taschenmesser bekam ich nicht ohne Bedenken zurück.
Allerdings nimmt die Zahl der Flugzeugentführungen und der Anschläge auf Passagiermaschinen zu; die Opfer sind unschuldig. So die vier, die neulich während eines Fluges der Transworld Airlines über Griechenland eine Explosion tötete - darunter eine Großmutter mit Tochter und Enkelin. Die Bombe war unter ihrem Sitz versteckt gewesen; sie schlug ein Loch in die Bordwand - der Überdruck stieß die Ahnungslosen in großer Höhe hinaus.
Ein tückischer Zugriff wie in Tausendundeiner Nacht. Jeder könnte so gefaßt werden, und jeder fragt sich, was er damit zu schaffen hat. Wo der rationale Faden dünn wird, könnte man das Horoskop befragen - es gibt Konstellationen, die von Seereisen, und andere, die von Luftfahrten abraten, auch glaubwürdige Berichte von Vorahnungen. Siehe Thornton Wilder: »The Bridge of San Luis Rey«.
Kuala Lumpur, 8. April 1986
Nachmittags Landung in Kuala Lumpur, wo Wolfram Dufner uns erwartete. Wir fuhren zusammen in seine Residenz. Zum dritten Mal in dieser Stadt, sahen wir, wie sie sich wiederum verändert hat. Bald werden die letzten Gebäude der Kolonialzeit dem Weltstil gewichen sein.
Wiedersehen mit Brigitte Dufner, Tee im Garten - ich erkannte die Bäume wieder, auch die Gebüsche, die reich in Blüte standen - vorgestern lag in Wilflingen noch Schnee.
Einige Stämme sind inzwischen dem Sturm zum Opfer gefallen, doch steht noch der mächtige Feigenbaum in seinem Panzer von Luftwurzeln. Er darf nicht angestrahlt, muß überhaupt mit Ehrfurcht behandelt werden, weil ein Geist in ihm wohnt. In Anzahl Palmen und Frangipanis, hoch und schlank ein Fackelbaum mit seinem feurig leuchtenden Schirm.
Ein solcher Garten ist reich belebt. Besonders fiel mir ein Specht auf, der an den Palmen kletterte: Flügelorangefarben, Hals weiß mit schwarzen Streifen, blutrote Haube, die sich zum Kamm aufrichtete. So umrundete er rastlos den Stamm. [.]