Er sah den Mann von hinten. Wie er kerzengerade über dem rauschenden Bach in der Böschung stand, sich am Stamm einer Silberweide zu schaffen machte. Ihm war sofort klar, dass es sich um seinen Vater handeln musste, schließlich erkennt man im Traum einen Vater auch allein am Rücken.
Er war dabei, mit einem Messer in die Rinde des Baums zu schneiden, lange, dünne Streifen abzuziehen. Es war fraglos Herbst, die beste Jahres- zeit für eine solche Arbeit, auch wenn der Zeitbegriff das Wegegeld ist, das man für den Eintritt in einen Traum bezahlt.
Dieser Mann war schon immer davon überzeugt gewesen, dass die Rinde der Silberweide schmerzstillende Wirkung hat, und das glaubte auch der Sohn, es war ja unmöglich, einem Vater, der im ersten Morgengrauen aufsteht und eine steile, steinige Böschung hochklettert, auf der Suche nach einem Mittel gegen Schmerzen, nicht zu glauben.
Er hoffte, der Mann würde sich umdrehen, damit er sein Gesicht wiedersehen konnte, auch wenn nicht viel erkennbar wäre von seinem Standort aus. Nicht infrage kam, »Vater« oder gar »Papa« zu rufen. Vielmehr hatte er Lust, den klangvollen, widerhallenden Taufnamen herauszuschreien, sich damit wie mit einem Enterseil an seinem Rücken festzuhaken. Also versuchte er sich zu konzentrieren, tastete sich durch die trübe Erinnerung, aber inmitten von hundert Namen, mit hundert Gesichtern verknüpft, wollte ihm der seines Vaters partout nicht einfallen.