Vorwort
1 Aktuelles Basiswissen zur Trauer
1.1 Definition von Trauer
1.2 Trauerverlauf und Phasenmodelle
1.3 Trauerreaktionen
1.4 Gehirnforschung zu Trauerprozessen
1.5 Traueraufgaben nach WORDEN
2 Trauer als Lebenskrise für ein Kind
2.1 Tod und Trauer in unserer Gesellschaft
2.2 Entwicklung des kindlichen Sterblichkeitswissens
2.3 Traueranlässe für Kinder
2.4 Kinder trauern anders
2.5 Neues Trauermodell
3 Pädagogische Fachkräfte bei kindlicher Trauer
3.1 Rolle der Einrichtung und der Pädagogen/innen
3.2 Anforderungen an die Pädagogen/innen
3.3 Aufgaben der Pädagogen/innen
4 Praktische Hilfestellung in Bezug auf das Kind
4.1 Grundhaltung der Pädagogen/innen
4.2 Kommunikation
4.3 Gedenkfeier und Bestattung
4.4 Verbindende Orte und Leben mit Erinnerungen
4.5 Kinderliteratur
4.6 Kunst und Gestaltung
4.7 Spielend Helfen
4.8 Religiöser Glauben
5.9 Entspannung und Imagination
4.10 Musik und Bewegung
4.11 Alltagshelfer
4.12 Professionelle Unterstützung
Plädoyer
Hilfestellung und Beispiele
Anhang 1: Der ressourcenorientierte Blick auf das Kind
Anhang 2: Zehn "Erlaubnisse" für Kinder, die trauern
Anhang 3: Acht Grundprinzipien der Spiel-Therapie nach Axline*
Anhang 4: Kommunikationsbeispiele
Anhang 5: Kinderbuchempfehlungen und Märchenliste
Anhang 6: Imaginationsbeispiel
Literaturverzeichnis
2 Trauer als Lebenskrise für ein Kind
2.1 Tod und Trauer in unserer Gesellschaft
"Es lebe das Leben, es lebe die Jugend." Diese Parole bringt laut Spölgen und Eichinger die Grundeinstellung der heutigen westlichen Gesellschaft auf den Punkt. Alter und Krankheit werden aus dem Alltag und damit aus dem menschlichen Bewusstsein gedrängt, Sterben und Tod sogar tabuisiert. Als Gründe führen sie vorrangig die Verstädterung und Industrialisierung an, die eine Veränderung der Lebensgemeinschaftsformen von generationsübergreifenden Großfamilien zu Kernfamilien bzw. Teilfamilien mit zwei Generationen mit sich brachte. Kinder erleben demnach Alterungs-, Krankheits- und Sterbephasen nicht mehr so selbstverständlich mit, wie noch vor 100 Jahren. Auch die Anonymität in den Städten trägt erheblich dazu bei, dass der Abschied vom Menschen selten sichtbar wird. Alte bzw. kranke Menschen sterben oft von ihren Familien getrennt im Pflegeheim oder Krankenhaus, so dass die "modernen" Menschen immer seltener Anlässe haben, sich mit der Realität von Sterben und Tod auseinanderzusetzen. (Spölgen & Eichinger, 1996)
Hinzu kommt, dass die heutige Trauerkultur gegenüber der Vergangenheit verarmt erscheint, schließlich sind über Jahrhunderte bestehende Traditionen, wie z.B. die mehrtägige Aufbahrung mit der sogenannten Totenwache zu Hause, der Trauerzug durch den Heimatort des Verstorbenen und die große und gelebte Gemeinschaft der Trauernden, nicht mehr von Bestand. Demgegenüber scheinen Bestattungen heute von Bürokratisierung und Professionalisierung gekennzeichnet zu sein, die wenig emotional, möglichst schnell und ohne viel Aufwand in der Folgezeit verlaufen. (Onnasch & Gast, 2011)
Die Auswirkungen des gesellschaftlichen Umgangs mit Tod und Trauer in Bezug auf Kinder fasst Margit Franz mit folgenden Kernaussagen zusammen, die sie in ihrem Buch detailliert erläutert (Franz, 2002):
Kindern fehlen Begegnungen mit den Schattenseiten des Lebens
Kinder erleben Krankheit und Tod als Feinde
Kinder haben mangelhafte Erfahrungen im Umgang mit Senioren
Kinder erleben den Tod als Medienereignis und wachsen in einer "Happy-Gesellschaft" auf
Kinder erleben den Tod, ohne ihn persönlich kennen zu lernen
Kinder erfahren Sprachlosigkeit in Bezug auf das Thema Sterben und Tod
Kinder können den Tod nicht greifen und damit nicht begreifen
Kinder erleben den nahen Tod entfernt
Kinder erfahren kaum Sterbe- und Trauerkultur
Greift man diese eindeutig ernüchternde Einschätzung auf, so kann die gegenwärtig mangelhafte Trauerkultur auch als Chance begriffen werden, für eine individuelle Trauergestaltung einzutreten und Solidarität durch Trauer zu erwirken. Gerade die Solidarität kann eine enorme Wertigkeit erlangen und als Multiplikator in unserer Gesellschaft wirken. Sie kann jedem Einzelnen und allen anderen zeigen, wie wertvoll das Leben in all seinen Facetten ist, denn der Tod umgibt einen Jeden.
2.2 Entwicklung des kindlichen Sterblichkeitswissens
Die Grundlage für eine empathische Trauerbegleitung von Kindern bildet das Wissen um die Entstehung des kindlichen Sterblichkeitswissens. Auch hier gilt es zu beachten, das der achtsame Blick auf das Einzelkind mit seinen ganz individuellen Todesvorstellungen und das mitunter stark variierende Entwicklungstempo von Kindern einer starren Phaseneinteilung widersprechen. Die tabellarisch dargestellte altersspezifische Strukturierung bildet ein Gerüst, das auf Piagets vier Grundannahmen zur Denkentwicklung zurückgreift:
1. Nonfunktionalität: Der Tod bedeutet den völligen Stillstand der Körperfunktionen.
2. Irreversibilität: Der Tod ist nicht mehr rückgängig zu machen.
3. Universalität: Alle Lebewesen müssen einmal sterben.
4. Kausalität: Die Ursache des Todes ist biologisch.
Während Erwachsene um diese vier Dimensionen wissen, muss sich diese das Kind im Laufe der Kindheit und Jugend erarbeiten: