Die in der vorliegenden Promotionsarbeit charakterisierten und analysierten Ionen-kanäle K2P2.1 und K2P10.1 gehören zur Familie der Zwei-Porendomänen Kaliumkanäle. Neben ihrer neuronalen Expression sind diese u.a. an der myokardialen Erregungsleitung sowie an der Repolarisationsphase erregbarer Zellen beteiligt und tragen zur Stabilisierung des Ruhemembranpotentials bei. K2P-Kanäle unterliegen einer komplexen Regulation, die von chemischen oder mechanischen Stimuli über eingehend bekannte intrazelluläre Signaltransduktionswege bis zur modulierenden Aktivität spezifischer Proteinbindungspartner reicht. Mit Hilfe der genannten Regulationsmechanismen werden nicht nur die jeweiligen Stromamplituden beeinflusst, sondern auch die quantitative und qualitative Expression der Kanalproteine. Auf diese Weise stellt die Regulation von K2P-Kanälen einen Kontrollmechanismus dar, der einen wesentlichen Einfluss auf die Erregbarkeit von Neuronen und Kardiomyozyten hat. In der vorliegenden Arbeit konnten neue Regulationsmechanismen für human- und rattenspezifische K2P2.1 und K2P10.1 Kaliumkanäle elektrophysiologisch und biochemisch nachgewiesen werden, die primär in Oozyten des Krallenfrosches Xenopus laevis, eingeschränkt auch in humanen HEK293 Zellen, durch mRNA Injektion zur membranständigen Expression ge-bracht wurden.
In einer ersten Teilstudie an rattenspezifischen rK2P2.1 Kanälen konnten die bis dato nur mit spannungsabhängigen Kaliumkanälen in Verbindung gebrachten ß Untereinheiten rKvß1 - rKvß4 als funktionelle Interaktionspartner auch von rK2P2.1 identifiziert werden. So hatte vor allem die erfolgreiche konzentrations- und zeitabhängige Coexpression der rKvß2 mRNA eine signifikante Zunahme des mittels voltage-clamp Technik erfassten, rK2P2.1 spezifischen Ionenstroms zur Folge. Zusätzlich errechnete sich eine zwar geringfügige aber signifikante Reduktion der halbmaximalen Aktivierungsspannung des rK2P2.1 Kanals durch Interaktion mit der rKvß2 Untereinheit sowie eine Hyperpolarisation der Zellmembran. Die Coexpression der rKvß2 Untereinheit mit durch Punktmutation bzw. Deletion des N-Terminus erzeugten alternativen Translationsinitiationsvarianten (ATI-Varianten) des rK2P2.1 Kaliumkanals ergab keine eindeutigen Hinweise auf die Beteiligung seiner N-terminalen Aminosäuresequenz an der Protein-Protein Interaktion. Eine direkte Interaktion beider Proteine konnte darüber hinaus auch nicht durch Coimmunpräzipitation, SDS Gelektrophorese und Detektion beider Proteine durch den Einsatz tag spezifischer Antikörper im Western Blot nachgewiesen werden, was zumindest teilweise auf eine sterische Behinderung der Immunglobuline zurückgeführt werden könnte. Zudem konnte die membranständige Expression des rK2P2.1 Proteins durch Coexpression der rKvß2 Untereinheit nicht erhöht werden. Möglicherweise stellt das funktionelle Zusammenspiel von rK2P2.1 Kanalprotein mit einer akzessorischen rKvß Untereinheit und die damit verbundene Hyperpolarisation der Zelle ein neuartiges Konzept in der antiepileptischen, neuroprotektiven und/oder antiarrhythmischen Therapie dar. In weiterführenden Studien wird es also weiterhin von Bedeutung sein, den zugrunde liegenden Mechanismus der Kanalaktivierung zu identifizieren.
In einer weiteren Teilstudie der vorliegenden Arbeit konnte nachgewiesen werden, dass alternatives Spleißen als übergeordneter Regulationsmechanismus die alternative Translationsinitiation des humanen hK2P10.1 Kaliumkanals kontrolliert. Dabei konnte gezeigt werden, dass beim alternativen Spleißen durch Rekombination des ersten Exons drei unterschiedliche hK2P10.1 Isoformen (IF) ausgebildet und gewebsspezifisch exprimiert werden (Gehirn: IF1 und IF2; Herz: IF2). Zusätzlich wurde durch alternatives Spleißen die Translationsinitiationssequenz (TIS) vor dem ersten Startcodon verändert. Die biochemischen Western Blot Analysen konnten zweifelsfrei nachweisen, dass die TIS vor dem ersten Startcodon die Translation an den Ribosomen unterschiedlich stark initiiert; dabei handelt es sich nicht um eine posttranslationale Proteinmodifikation. Eine geringe Affinität der TIS für das erste Startcodon kann zum sogenannten "leaky scanning" führen, wobei der Translationsbeginn an einem weiter "downstream" positionierten Startcodon stattfindet. Dadurch kam es auch in der vorliegenden Arbeit zur Translation von Kanalproteinen mit unterschiedlicher Länge des N-Terminus. Für jede der drei IFs konnten drei Startcodons im offenen Leseraster identifiziert und mittels Western Blot Analyse biochemisch dargestellt werden. Die mit Hilfe von Xenopus laevis Oozyten gewonnenen Ergebnisse konnten anschließend in HEK293 Zellen bestätigt werden.
Elektrophysiologisch wurden in mit mRNA injizierten Xenopus laevis Oozyten mittels voltage-clamp Technik Stromableitungen und Ruhemembranpotentiale sowohl von Wildtypen aller IFs als auch von homomer aufgebauten ATI-Varianten der ein-zelnen hK2P10.1 IFs aufgezeichnet. Dabei zeigte sich bei den Wildtypen, dass IF2 im Vergleich die größten Stromamplituden aufwies und die Oozyte am wenigstens depolarisiert wurde. Die Gegenüberstellung der Stromamplituden aller ATI-Varian-ten spiegelte zum einen wider, dass diejenigen der Wildtypen aus dem Zusammenspiel aller drei möglichen Kanalproteine bestanden und zum anderen, welches Kanalprotein die Stromamplitude maßgeblich bestimmte. Dabei wiesen die Kanalproteine mit dem kürzesten N-Terminus übereinstimmend bei allen drei IFs deutlich geringere Kaliumströme auf und die entsprechenden Oozyten depolarisierten am stärksten. Die elektrophysiologischen Ergebnisse bestätigten die biochemischen Analysen. Spleißen der mRNA und die alternative Translationsinitiation bestimmen die gewebsspezifische Proteinvariabilität und beeinflussen somit die Feinregulation des Ruhemembranpotentials. IF-abhängige Proteineigenschaften sorgen für eine unterschiedlich ausgeprägte Depolarisation der Zelle. Hierdurch könnte die Entstehung von Arrhythmien begünstigt und daher die gezielte Beeinflussung der Proteinexpression als Ansatz für neue Therapiekonzepte genutzt werden.
In einer dritten Teilstudie sollte der Effekt des nicht-selektiven ß-Adrenozeptor Antagonisten Carvedilol auf hK2P2.1 und hK2P10.1 Kanäle sowie deren ATI-Varianten analysiert werden. Neben dem Einsatz als Antihypertonikum wirkt sich die Gabe von Carvedilol bei der Behandlung von Herzinsuffizienz nachweislich prognostisch günstig aus. Darüber hinaus senkt es das Auftreten von Arrhythmien nach Myokardinfarkten und minimiert die Rezidivrate von Vorhofflimmern nach erfolgter Kardioversion.
In mit spezifischer mRNA transfizierten Xenopus laevis Oozyten ließ sich sowohl für den hK2P2.1 als auch den hK2P10.1 Kaliumkanal eine konzentrationsabhängige Inhibition der durch Spannungsimpulse induzierten Stromamplitude durch Carvedilol nachweisen. Der hK2P2.1 Kanal wurde dabei sowohl in geöffnetem als auch geschlossenem Zustand inhibiert und die Inhibition unterlag keiner Frequenzabhängigkeit. Im Vergleich zum Wildtyp zeigten die ATI-Varianten beider Kanäle eine differentielle Sensitivität für Carvedilol. Dabei war übereinstimmend zu registrieren, dass mit Verkürzung des N-Terminus die pharmakologische Sensitivität abnahm. Die dargestellten Ergebnisse liefern Hinweise dafür, dass die antiarrhythmische Wirkung von Carvedilol zumindest teilweise auf die Inhibition kardialer K2P-Kanäle zurückzuführen ist. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass ATI neben der Beeinflussung der Proteinvariabilität und elektrophysiologischer Eigenschaften durch Verkürzung des N-Terminus die Kanalpharmakologie von Carvedilol beeinflusst. Infolge spatiotemporal unterschiedlicher Expressionsmuster der ATI-Varian-ten wäre somit mit unterschiedlichen pharmakologischen Effekten durch den Einsatz von Carvedilol zu rechnen.
Die präsentierten Ergebnisse unterstreichen die Bedeutsamkeit der K2P-Kanäle für die Regulation zellulärer Erregbarkeit. Als feine Stellschrauben können sie die Zelle sowohl hyper- als auch depolarisieren. Im Gesamtkontext der Zellphysiologie oder durch Dysregulation kann somit die Entstehung von Arrhythmien begünstigt oder verhindert werden. Gleichzeitig bietet dieses Verständnis Ansätze für neuartige Therapiekonzepte. Die vorgestellten Regulationsmechanismen stellen die Basis für das Verständnis funktioneller Eigenschaften von K2P2.1 und K2P10.1 Kanälen dar, bedürfen aber weiterführender Studien, um Zusammenhänge zu Physiologie und Pathophysiologie der K2P-Kanäle herzustellen.
Reihe
Thesis
Dissertationsschrift
2021
Justus-Liebig-Universität Gießen
Sprache
Verlagsort
Maße
Höhe: 21 cm
Breite: 14.8 cm
Gewicht
ISBN-13
978-3-8359-6938-4 (9783835969384)
Schweitzer Klassifikation