Die Diskussion um die Verbesserung von Tierwohl und Tierschutz in der Schweinehaltung steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Dabei gilt das Schwanzbeißen mit seinen Folgen für die Tiere sowie für die Schlachtkörper durch aufsteigende Infektionen seit Jahrzehnten als Paradebeispiel für mangelnden Tierschutz beim Schwein. Als Konsequenz wird den meisten Ferkeln im Alter von weniger als vier Tagen das letzte Drittel des Schwanzes amputiert. Was jedoch als Routinemaßnahme nach europäischem Recht verboten ist. Das Kupieren führt zwar zu einer Verringerung des Schwanzbeißens, kann aber der hohen Komplexität der tierschutzwidrigen Faktoren, die zu Schwanzverletzungen führen, nicht gerecht werden. Man unterscheidet zwischen primärem Schwanzbeißen (aufgrund von Aggression, Stress und Frustration im Zusammenhang mit Haltungs-, Fütterungs- und Managementproblemen) und sekundärem Schwanzbeißen (das Opfertier toleriert das Beißen und Knabbern). Doch Schwanzverletzungen können auch ohne Zutun anderer Ferkel auftreten. Als Ursache eines primär endogenen Entzündungsgeschehens wurde das Entzündungs- und Nekrosesyndrom des Schweins (SINS) beschrieben, bei dem es durch entzündliche Verlegung der Endstrombahnen u.a. im Bereich des Schwanzes und der Ohren zu einer Minderdurchblutung der zu versorgenden Gewebeanteile kommt. Entzündungen bis hin zu Nekrosen sind häufige Folgen. Klinisch äußert sich das Syndrom durch Borstenlosigkeit/Borstenverlust, gefolgt von Schwellung und Rötung. In schweren Fällen kann es zu Exsudation und Nekrosen kommen. Neugeborene Ferkel können bereits bei der Geburt betroffen sein. Die klinischen Symptome finden ihre Bestätigung in einer Pathohistologie, die durch Vaskulitis, Intimaproliferation, Thrombenbildung und Ödematisierung gekennzeichnet ist. Dabei zeigt sich, dass Ausmaß und Schweregrad der Symptomatik stark von Umweltfaktoren beeinflusst werden. Aber auch unter konstanten Umweltbedingungen treten Variationen zwischen den Betrieben auf. Feldbeobachtungen deuten darauf hin, dass die Genetik des Ebers eine entscheidende Rolle für die Anfälligkeit der Ferkel spielt.
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es zum einen, den Einfluss von zwei verschiedenen Ebern auf zwei verschiedenen Betrieben auf die SINS-Symptomatik der Saugferkel zu untersuchen (Teil 1) und den Nachweis spezifischer Ebereffekte darzustellen (Teil 3). Zum anderen sollte der typische zeitliche Verlauf des Syndroms unter möglichst standardisierten Umweltbedingungen erarbeitet werden, um optimale Untersuchungszeitpunkte definieren zu können (Teil 2). Die Untersuchungen sollten um die Infrarotthermographie erweitert werden, in der Erwartung, die vermuteten Durchblutungsstörungen auf diese Weise diagnostisch nutzen zu können.
Für die Untersuchung der Ebereffekte im Betriebsvergleich (Teil 1) wurden zwei Eber eines Zuchtbetriebes über ihre Nachkommen auf zwei verschiedenen Betrieben verglichen. Es standen 149 Ferkel am 3. Lebenstag zur Verfügung. Für die Verlaufsuntersuchung (Teil 2) wurden 59 Ferkel vom 1. bis zum 41. Lebenstag an 18 Tagen untersucht. Dabei befanden sich die Tiere an den letzten beiden Untersuchungstagen in der Aufzucht. Im dritten Teil des Versuches zur Untersuchung von Ebereffekten wurden 175 Ferkel am zweiten oder dritten Lebenstag untersucht. Es standen 15 Sauen in 4 Abferkelgruppen zur Verfügung. Diese wurden mit Mischsperma von Ebern der Rassen Duroc und Pietrain aus sechs Zuchtbetrieben besamt. Der Vaterschaftstest wurde mittels asservierten Schwänzen durchgeführt.
Die Versuchsdurchführung war in allen drei Versuchsteilen identisch. Die klinische Untersuchung wurde mit einer Digitalkamera dokumentiert und später am Computer ausgewertet. Dokumentiert wurden beide Gesichtshälften, die Ohren in der Übersicht von hinten, der Schwanz, die Klauen hinten plantar und dorsal, der Bauch mit Zitzen und Nabel sowie die Klauen vorne plantar und dorsal jeweils mit der Digitalkamera und der Infrarotkamera.
Beim Vergleich der SINS-Symptomatik auf zwei verschiedenen Betrieben mit zwei verschiedenen Ebern ergaben sich signifikante Unterschiede bei der Schwanzbasis, den Ohren, dem Nabel, den Ballen und dem SINS-Score für den Betrieb und bei der Schwanzbasis, dem Kronsaum, den Ballen und dem SINS-Score für den Eber. Mögliche Ursachen für die Unterschiede zwischen den Betrieben sind vielfältig und ergeben sich aus der bereits beschriebenen Umweltinteraktion der SINS-Symptome. So sind z.B. die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit, die unterschiedlichen Temperaturen in den Ställen und die unterschiedlichen Tränkesysteme von Bedeutung. Die Organscores, die sich aus der gewichteten Addition der Einzelmerkmale ergaben, waren häufig mit dem Betrieb und dem Eber assoziiert. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Borstenverlust und Nekrosen zwar beide Teilaspekte von SINS sind, Nekrosen aber wesentlich stärker ins Gewicht fallen als der reine Borstenverlust, wurde für die Zusammenfassung zu Organscores ein neues Gewichtungssystem der Rohwerte angewandt. Es wird empfohlen, diese Anpassung in zukünftigen Untersuchungen vorzunehmen.
Es konnte gezeigt werden, dass der eingesetzte Eber in vergleichbarer Weise zu signifikanten Verbesserungen oder Verschlechterungen der SINS-Symptomatik der Saugferkel führen kann. Die Zusammenfassung der Organscores zum SINS-Score ergab eine Abfolge von Duroc-Nachkommen mit steigenden Scores zu Pietrain-Nachkommen. Alle Nachkommen der Duroc-Eber waren signifikant besser als die 4 schlechtesten Pietrain-Eber.
In der Verlaufsuntersuchung konnte ein zweigipfliger Verlauf der SINS-Symptomatik beobachtet werden. Zahlreiche Organbefunde folgen per se diesem zweigipfligen Verlauf mit einem Peak um Tag 3 bis 4 und Tag 22 bis 26. Hierzu zählen insbesondere die hochgradigen Befunde der Schwanzbasis und des Schwanzes, die Zitzenbefunde und die Ballenrötung sowie die Ohrtemperaturen. Die Idealform der Zweigipfeligkeit zeigte sich dann wieder bei der Zusammenfassung der Merkmalsbefunde zum SINS-Score. Es zeigt sich also, dass der SINS-Score keineswegs nur ein synthetisches Merkmal aus lose zusammengefassten Werten ist. Vielmehr bestätigt sich der auch in anderen Untersuchungen an Einzeltagen grundsätzlich nachgewiesene Zusammenhang zwischen den verschiedenen Befunden an Schwanz, Ohren, Zitzen und Klauen.
Die Infrarotthermografie als diagnostisches Hilfsmittel war sehr gut geeignet, um eine bestehende Durchblutungssymptomatik darzustellen. Allerdings ergaben sich gegenläufige Effekte der am Schwanz vorherrschenden Entzündungsgrade zu den jeweiligen Zeitpunkten, die zu einer Verstärkung oder Reduktion der Durchblutung führen konnten und somit pauschal noch nicht anwendbar waren. Dennoch bestätigte sich die Zweigipfeligkeit von SINS auch über die Temperaturverläufe.
Reihe
Thesis
Dissertationsschrift
2025
Justus-Liebig-Universität Gießen
Sprache
Verlagsort
Maße
Höhe: 21 cm
Breite: 14.8 cm
Dicke: 1 cm
Gewicht
ISBN-13
978-3-8359-7250-6 (9783835972506)
Schweitzer Klassifikation