Schon über zwei Jahre hält uns die Corona-Pandemie im wahrsten Sinne des Wortes in Atem. Sie hat unser persönliches und gesellschaftliches Leben massiv beeinflusst, mehr noch, sogar eine Krisensituation ausgelöst. Und ausgerechnet jetzt, wo das Schlimmste überstanden zu sein scheint oder uns zumindest hoffen lässt, kommt (noch) ein Buch über die Geschichte der Seuchen?
Ja, gerade jetzt, da die Erfahrungen, Eindrücke, Wahrnehmungen zu der aktuellen Epidemie noch nicht verblasst sind. Denn es geht nicht nur darum, mehr oder weniger Bekanntes über die großen Seuchen der Vergangenheit zu berichten oder nachzuerzählen. Vielmehr geht es um die Frage, was wir daraus - vor allem zur Bewältigung von gefährlichen ansteckenden Krankheiten mit einem Länder und Kontinente übergreifenden Ausmaß - lernen können. Denn Seuchen wird es auch weiterhin geben.
Ist es nicht erstaunlich, dass sich unabhängig der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen gleiche Denkmuster und Stereotype in der Argumentation bis heute wiederfinden? Bereits für die als "Schwarzer Tod" bekannte große Pest-Pandemie im späten europäischen Mittelalter war beispielsweise die Suche nach dem oder den Schuldigen kennzeichnend. Ich meine damit Sündenböcke, denen die Verantwortung für die missliche Lage zugeschoben werden kann, seien es andere Personen und Gruppen der Gesellschaft oder auch andere Staaten. Wenn wir uns die ungeheuerlichen Auswirkungen solcher Schuldzuweisungen wie die Judenpogrome vergegenwärtigen, die übrigens auch dort stattfanden, wo die Pest gar nicht oder noch nicht angekommen war, stellt sich die Frage, ob hinter derartigen Stigmatisierungen vielleicht nicht nur ideologische, sondern auch politische und wirtschaftliche Interessen stehen.
Aufschlussreich sind Epidemien in ihrer historischen Reflektion auch hinsichtlich des Verhältnisses bzw. der beeinflussenden Beziehung von Wissenschaft und Politik. Wissenschaftliche Erkenntnisse, hier vor allem zu den Ursachen der Krankheit, sind selbstverständlich unerlässlich, um wirksame zielgerichtete gesundheitspolitische Maßnahmen zum Seuchenschutz (landesweit) einleiten zu können. Doch ist - wie etwa schon bei der als "Spanische Grippe" bezeichneten Grippepandemie 1918 bis 1920 - die einseitige Fokussierung der Gesundheitspolitik auf eine naturwissenschaftliche Disziplin (damals die Bakteriologie) oder eine bestimmte wissenschaftliche Theorie hierfür ausreichend?
Und worin liegt das Problem bei der Impfung, mehr noch bei der Diskussion um eine Impfpflicht? Auch hier lassen sich - etwa am Beispiel der einst weltweit grassierenden Pocken - aus den ursächlichen Bedingungen für den Erfolg von oder den sich formierenden Widerstand gegen Impfkampagnen und sogar eine Impfpflicht schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts Folgerungen für heute ableiten. Ich lade Sie herzlich ein, sich mit mir auf die Spurensuche zu begeben.