Das Ziel dieser Arbeit war, verschiedene externe Belastungen hinsichtlich ihres Einflusses auf Myoblasten und ihrer myogenen Differenzierung in vitro zu untersuchen. Es wurde der Einfluss einer mechanischen Belastung (Flüssigkeitsscherspannung, FSS) und einer atmosphärischen Belastung (Hypoxie, 3% O2
) untersucht. Im Rahmen der mechanischen Belastung wurde zudem ein Vergleich zwischen dem Einfluss einer periodisch auftretenden FSS (pFSS, 1 h pro Tag) und einer kontinuierlich auftretenden FSS (kFSS) durchgeführt.
Die Versuche wurden mit der C2C12-Maus-Myoblasten-Zelllinie durchgeführt. Zunächst erfolgte eine Charakterisierung der Myoblasten hinsichtlich ihrer Morphologie, der Expression von Stammzellmarkern und myogenen Markern sowie der myogenen Differenzierung. Anschließend wurden die Myoblasten unter der jeweiligen Belastung für 3 d kultiviert oder für 7 d differenziert. Weitere Analysen der Zellen erfolgten jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten (3 h, 24 h und 3 d nach Kultivierungsbeginn bzw. 3 h, 3 d und 7 d nach Differenzierungsbeginn). Als Kontrolle dienten Myoblasten, welche unter Standardbedingungen (statisch, 21% O2) kultiviert oder differenziert wurden.
Es konnten folgende Ergebnisse erzielt werden:
FSS
Anhand der Phalloidinfärbung konnte eine veränderte Morphologie der proliferierenden Myoblasten unter einer FSS beobachtet werden. Die Myoblasten zeigten vermehrt kleine, runde oder große, flache Zellformen und bildeten vermehrt zytoplasmatische Zellfortsätze und Zellkontakte aus, um möglichst ihre Haftung zu maximieren und die Scherkräfte auf ihrer Oberfläche zu minimieren. Unter einer FSS konnte ein verbessertes Zellwachstum festgestellt werden, sichtbar an der signifikant erhöhten Gesamtzellzahl nach 24 h in der SRB-Färbung. Auch im Hinblick auf die Viabilität der Myoblasten konnten keine negativen Einflüsse einer FSS im MTT-Test nachgewiesen werden.
Im Gegensatz dazu war das koloniebildende Potenzial und damit die Selbsterneuerung unter einer FSS deutlich reduziert mit der Ausbildung signifikant weniger Kolonien im CFU-Assay. Des Weiteren erfolgte eine Untersuchung der Genexpression des frühen myogenen Differenzierungsmarkers MyoD mittels RT-qPCR. Die proliferierenden Myoblasten zeigten unter einer FSS eine verminderte Expression, wobei die Unterschiede nicht signifikant waren. Auch in der Immunfluoreszenzfärbung war die Anzahl MyoD-positiver Myoblasten nach 24 h unter einer FSS geringgradig reduziert, ohne dass eine signifikante Differenz ermittelt werden konnte. Die Ergebnisse sind jedoch hinweisend darauf, dass eine FSS möglicherweise die Determinierung der proliferierenden Myoblasten zur myogenen Linie hemmte und der undifferenzierte Zustand gefördert wurde.
Unter statischer als auch dynamischer Kulturbedingung konnte eine erfolgreiche myogene Differenzierung in der Phasenkontrastmikroskopie und der Phalloidinfärbung nachgewiesen werden. Unter einer FSS zeigten die differenzierenden Myoblasten jedoch eine deutliche Haufenbildung als möglichen Hinweis darauf, dass die Myoblasten auf der Suche nach Haftung vermehrt Kontakt untereinander suchten. Trotzdem führte eine FSS zu einer verbesserten Myotubenbildung mit der Ausbildung signifikant breiterer und tendenziell größerer Myotuben. Ebenfalls waren der Fusion-Index und die Anzahl der Myonuklei pro Myotube unter einer FSS signifikant erhöht, hinweisend darauf, dass mehr Myoblasten zu einer Myotube verschmolzen.
In der RT-qPCR wurde die Genexpression der myogenen Differenzierungsmarker MyoD, Myogenin, MYH1 und MYH7 sowie des Proteinsynthese-Indikators mTOR untersucht. Für alle Gene konnte unter einer FSS ein stärkerer Anstieg der Expression beobachtet werden, wobei die Unterschiede keine Signifikanzen aufwiesen. Auch in der Immunfluoreszenzfärbung konnte kein Unterschied in der Anzahl Myogenin-positiver Zellen an Tag 3 der Differenzierung zwischen beiden Kulturbedingungen nachgewiesen werden.
Beim Vergleich einer pFSS gegenüber einer kFSS konnten unter beiden FSS-Kulturbedingungen die gleichen morphologischen Veränderungen für proliferierende Myoblasten wie oben beschrieben festgestellt werden. Der bedeutendste Unterschied zwischen der Kultivierung unter einer pFSS und einer kFSS konnte im koloniebildenden Potenzial beobachtet werden. Im Gegensatz zu einer kFSS führte die Kultivierung unter einer pFSS zu einem verbesserten Koloniebildungspotenzial mit der Ausbildung von signifikant mehr Kolonien, wobei unter beiden FSS-Bedingungen kleinere Kolonien gebildet wurden. Weder im MTT-Test, der SRB-Färbung sowie der RT-qPCR noch in der myogenen Differenzierung konnten weitere signifikante Unterschiede zwischen den Kulturbedingungen ermittelt werden.
Hypoxie
Die Myoblasten zeigten unter Hypoxie eine verbesserte Viabilität, erkennbar an der signifikant erhöhten Anzahl lebender Zellen nach 24 h und 3 d im MTT-Test. Auch in der SRB-Färbung konnte eine signifikant erhöhte Gesamtzellzahl und damit ein verbessertes Zellwachstum nach 3 h unter Hypoxie festgestellt werden. Des Weiteren konnte im CFU-Assay eine leicht erhöhte Kolonieanzahl unter Hypoxie beobachtet werden, wobei die Unterschiede nicht signifikant waren.
In der Immunfluoreszenzfärbung sowie RT-qPCR konnte eine leicht verminderte MyoD-Expression und eine leicht reduzierte Anzahl an MyoD-positiver Zellen unter Hypoxie festgestellt werden als Hinweis auf eine Hemmung der myogenen Determinierung, wobei auch hier keine signifikanten Unterschiede ermittelt werden konnten.
Zusätzlich wurde die Genexpression der Hypoxiemarker HIF-1a, VEGF und NOS1 untersucht. Als Reaktion auf die Hypoxie zeigten die Myoblasten für HIF1a nach 3 h eine signifikant niedrigere Genexpression. Für VEGF konnte nach 24 h und 3 d eine signifikant höhere Genexpression unter Hypoxie nachgewiesen werden als Hinweis auf eine Aktivierung des HIF-1-Signalwegs. Auch die Genexpression von NOS1 stieg tendenziell stärker unter Hypoxie an. Im Einklang damit zeigten die proliferierenden Myoblasten unter Hypoxie in der DAF-FM-Färbung eine tendenziell höhere NO-Produktion zu allen Zeitpunkten.
Im Gegensatz dazu zeigten die Myoblasten eine gehemmte myogene Differenzierung unter Hypoxie. In der Phasenkontrastmikroskopie als auch in der Phalloidinfärbung konnte unter Hypoxie eine verminderte Myotubenbildung beobachtet werden mit der Ausbildung deutlich längerer, jedoch dünnerer Myotuben. Dies konnte in der morphometrischen Analyse bestätigt werden. Während unter Hypoxie die Länge der Myotuben und das ZMV zwar signifikant erhöht waren, waren die Breite, die Anzahl der Myonuklei pro Myotube und der Fusion-Index signifikant sowie die Fläche der Myotuben tendenziell reduziert, hinweisend auf einen beeinträchtigten Fusionsprozess unter Hypoxie.
In der RT-qPCR konnte für MyoD, Myogenin und mTOR vor allem an Tag 3 der Differenzierung eine verminderte Genexpression unter Hypoxie festgestellt werden, wobei keine signifikanten Unterschiede ermittelt werden konnten. In Übereinstimmung war die Anzahl Myogenin-positiver Myoblasten an Tag 3 der Differenzierung unter Hypoxie signifikant erniedrigt. Für MYH1 und MYH7 konnten keine signifikanten Unterschiede in der Genexpression zwischen beiden Kulturbedingungen festgestellt werden. Auch für die Hypoxiemarker HIF1a und VEGF konnten keine Signifikanzen ermittelt werden, während für NOS1 eine tendenziell niedrigere Expression an Tag 3 und 7 der Differenzierung unter Hypoxie nachgewiesen werden konnte.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass eine mechanische Belastung in Form einer FSS sowie eine atmosphärische Belastung in Form einer Hypoxie einen Einfluss auf proliferierende und differenzierende Myoblasten besitzen. Für beide Faktoren konnte ein positiver Effekt auf die Funktion proliferierender Myoblasten, vor allem hinsichtlich Zellviabilität und Zellwachstum, nachgewiesen werden, möglicherweise zurückzuführen auf das Vorkommen dieser Faktoren in der physiologischen Mikroumgebung der Zellen. Speziell eine pFSS führte zudem zu einem verbesserten Selbsterneuerungspotenzial der Myoblasten. Die Einbeziehung dieser Faktoren bei der in vitro-Kultivierung von Muskelstammzellen könnte ihre Stammzellnische effektiv imitieren und so möglicherweise die Zellexpansion vor Transplantation sowie das Regenerationspotenzial im Rahmen zellbasierter Therapien verbessern. Während eine Hypoxie die myogene Differenzierung von C2C12-Myoblasten verminderte, förderte eine FSS die myogene Differenzierung und spielt möglicherweise als hypertropher Stimulus eine zentrale Rolle. Die Applikation einer FSS sollte deshalb zur Optimierung des myogenen Differenzierungsprotokolls in Betracht gezogen werden.