Der Mythos von Atlantis
Einleitung: Spiegelungen eines Mythos in der Kulturgeschichte
1. Der Mythos von Atlantis - Kulturgeschichte im Licht politischer Philosophie
2. Die Suche nach der Realität hinter dem Mythos - Anhaltspunkte für eine mögliche Transposition in die reale Welt
3. Probleme einer Verortung von Atlantis - Fantasien, Irrläufe und Sackgasse
4. Der Atlantis-Mythos und populäre Hypothesen einer realen Verortung des imaginären Inselreichs
5. Die ägäischen Inseln, die Kykladen und die Welt Alteuropas
6. Thera als bronzezeitlicher Verkehrsknotenpunkt in der Ägäis - Wo Archäologie und Archäomythologie im Einklang stehen
7. Wo sich die Wege von Kunst und Wissenschaft kreuzen - Landschaftsformen in den Fresken
8. Menschen und Gesellschaft im alten Thera - Was die Wandmalereien uns erzählen
9. Kunst und Künstler im alten Thera - Die Verwobenheit von Ästhetik und mythischer Symbolik
10. Das Ende einer blühenden Zivilisation - Eine Serie von Naturkatastrophen löscht das alte Thera aus
11. Gibt es Spuren einer Erinnerung an die Handelsstadt Thera im kulturellen Gedächtnis der Nachwelt?
12. Sind die Erzählungen über die Abenteuer des Odysseus ein Echo aus der Ära der vorgriechischen Seefahrt?
13. Von Thera nach Atlantis - Die Designerstory Platons im Verhältnis zum Katastrophenszenario der Krokusinsel
Das alte Thera - Die ältere Caldera und die Ringinsel
Die Bilder in den Fresken sind in einem naturalistischen Stil ausgeführt und so detailreich, dass deren Ausführung als »foto-realistisch« (Johann 2019) kategorisiert wurde. In diesen Bildern sind deutlich topographische Charakteristika der Küstenlandschaft von Thera zu erkennen, sowohl aus der Zeit vor der Katastrophe als auch solche, die als Landmarken im heutigen Landschaftsbild erhalten geblieben sind.
Werden die Informationen in den Freskenbildern in Relation gesetzt zu den geologischen und seismographischen Daten, entsteht ein Landschaftsbild mit vielerlei Variationen. Im alten Thera gab es vulkanische Berge wie die bei der Naturkatastrophe explodierten und untergegangenen Mt Theresia Minoica (ca. 650 m) und Mt Skaros Minoica (ca. 570 m) sowie den heute noch existenten Mt Profitis Ilias (565 m). eine weite Ebene im südlichen Teil war von einem Flusslauf durchzogen. Eine Besonderheit war eine Insel-interne Lagune (Abb. 12).
Ursprünglich war Thera eine kompakte Landmasse mit Küstenlinien, die durch keine größeren Einbuchtungen unterbrochen wurden. Solche Inselkonturen hatten lange Bestand, bis sich vor rund 22 000 Jahren alles änderte. Der Vulkanausbruch um 1610 v. u. Z. war nicht die einzige Naturkatastrophe, die die Form der Insel drastisch veränderte. Es gab schon viel früher eine andere Katastrophe, von der die Insel erschüttert und die Landmasse aufgebrochen wurde. Auf dem Meeresgrund im Norden der heute überfluteten Senke (Caldera) wurden zwei großformatige Lavaplatten lokalisiert, die von einem früheren Vulkanausbruch stammen. Eine Folge der Naturkatastrophe von damals war das Absinken des Untergrunds, der sich mit Wasser füllte. Es formte sich eine Lagunenlandschaft, die ältere Caldera (Athanassas 2016). Diese Caldera war im Westen, Süden und Osten geschlossen und hatte nur im Nordwesten einen Durchbruch zum Meer. Auch war die Ausdehnung dieser älteren Caldera insgesamt schmaler als die der modernen.
Geologen haben festgestellt, dass es in dieser Caldera eine Insel gegeben hat, die ringsum vom Wasser der Lagune umgeben war, also »eine kleinere Insel innerhalb der größeren Insel«. die Lokalisierung dieser Ringinsel war eine große Herausforderung. Es sind verschiedene Hypothesen vorgebracht worden (Friedrich 2000, Karátson 2018, Johann 2019). Die meisten Wissenschaftler, die sich dazu geäußert haben, suchen die Ringinsel im Süden oder Zentrum der älteren Caldera. Es scheint aber, dass sich das Netzwerk der vulkanologischen Messwerte inzwischen dahingehend verdichtet hat, dass eine Lokalisierung der Ringinsel im nördlichen Teil der Caldera angesetzt wird. Man geht von der Annahme aus, dass auf dieser Ringinsel die Hauptsiedlung der Leute von Thera in der Zeit vor dem zweiten Vulkanausbruch angelegt war. Die Siedlung auf der Ringinsel lässt sich aufgrund ihrer Landmarken als Ausgangsort der Schiffsprozession identifizieren (Paliou 2011). Der Ort, von dessen Hafen die Prozession abfährt, ist in der virtuellen Rekonstruktion auf der Insel im Nordteil der Lagune lokalisiert. Im Freskenbild ist der Ort, an dem die Schiffe losfahren, von Wasser umringt, was den Charakter als Binneninsel illustriert (Abb. 13).