Anreise. 6
Erlebnishotel. 14
Ulan Bator. 20
Nationalstolz. 32
Dschingis Khan. 38
Hammelsterben. 46
Gastfreundschaft. 56
Bauernopfer. 68
Steppensafari. 76
Reiterspiele. 84
Winterlager. 92
Pferdetrecking. 100
Rentiernomaden. 110
Feuer. 126
Flussbefahrung. 130
Sternennacht. 138
Taimenprojekt. 142
Sishked Gol. 148
Schamanen. 154
Pestflöhe. 166
Khövsgöl Nuur. 169
Salmonellen?. 176
Rückflug. 184
Epilog. 190
Salmonellen? *. Für Sekundenbruchteile taucht das Licht der Blitze die karge Innenausstattung der Mietjurte in plastische Realität. Wenige Sekunden später rollt der heftige Donnerschlag übers Land. Er bestätigt die gefährliche Nähe der elektrischen Entladungen. Ohne Einbildung vermeine ich, die Ausbreitung des Paukenschlages am Zittern der Filzwände zu spüren. Das phantastische Naturerlebnis verstärkt sich durch die dünne Behausung der Nomaden.
Abgelenkt von den Wetterelementen und dem Schauspiel, überhöre ich anfangs das Rumoren in meinen Eingeweiden. Bald treibt es mich von der spartanisch harten Pritsche. Bei Tageslicht habe ich schon die Latrine inspiziert und mir die Orientierung eingeprägt. Gut getarnt steht das Häuschen in einem lichten Lärchenhain. Eine Senkgrube mit Bretterverschlag.
Die letzten Meter geleitet mich der Geruch der Fäkalien zur Hütte der Erlösung. Statt das Paradies entlang des glasklaren Sees und der kahlen Bergkette zu genießen, gehöre ich nun endgültig zu jenen dreißig Prozent Fernreisenden, die der Rache Montezumas Tribut zollen. Auch ich bin ein Opfer der häufigsten Reiseerkrankung. Ich bin ein Sklave meines Verdauungstraktes.
Nicht Selbstmitleid zersetzt meinen Überlebenswillen, sondern mein gesundheitliches Gesamtbild schürt den Verdacht auf die gefürchteten Bakterienstämme. Auf Schongang läuft mein Kreislauf. Erheblich reduziert ist meine Lebensenergie, und in einer Art von Benommenheit nehme ich mein Umfeld war. Ein Schleier trennt mich von der Realität. Antrieb und Abenteuerlust dümpeln weit unter der Reizschwelle. Trotz rabenschwarzer Finsternis entwickelt das Wunderwerk des menschlichen Gehirns Farbfilme mit dramatischen Inhalten. Klebrig wie Honig heften sich die düsteren Gedanken fest und lassen sich nur widerwillig aus der bedrohlichen Kreisbahn drängen.
Schon bald muss ich erneut ins Freie. Zur Latrine schaffe ich es nicht mehr, sondern hinaus in die Steppe. Abgelenkt durch meinen körperlichen Schmerz und die negativen Gedankenspirale, hat sich unbemerkt ein Yak bis auf wenige Schritte genähert. In der Dunkelheit schockt mich das Tier wie ein Monster aus der Unterwelt. Nur kurz währt die Lähmung. Ich lasse meine Taschenlampe in die vermutete Richtung blitzen. Der Lichtkegel schneidet einen Tunnel in die Nacht. und erfasst den Bullen. Gedrungen ist sein Schädel. Tief gesenkt ist der wehrhafte Kopf des Stieres und bedrohlich ragen mir die geschwungenen Waffen frontal entgegen. Ich fühle mich im Visier seiner Hörner. Wahrlich beschissen ist meine Situation. Ich lasse das Licht zwecks Einschüchterung über seine Stirn huschen und versuche das ungebetene Vieh zu blenden.
Die Netzhaut der Augen reflektiert die Lichtstrahlen. Sie vermittelt den Eindruck von einem hellen Kugelpaar, das ständig in Bewegung über den Boden schwebt. Der Aufpasser der Herde lässt sich aber nicht vergrämen. Auf Augenhöhe sitzen beziehungsweise stehen wir uns gegenüber. Aber nicht ich habe die Toleranzgrenze überschritten, sondern der Yakbulle hat sich in der Dunkelheit angepirscht. Eine respektvolle Flucht ist mir verwehrt. Mit gefasster Stimme, meine letzte Hoffnung, erzähle ich dem Tier belanglose Geschichten. Vielleicht besänftigt es seine Laune.