Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
Die Derrick-Serie erfreut sich auch in Italien großer Beliebtheit. Im Licht des gesunden kritischen Menschenverstandes gäbe es keinen Grund, warum sie den Leuten gefallen sollte. Der Protagonist hat einen wäßrigen Blick und das traurige Lächeln eines geborenen Witwers, er trägt Anzüge von der Stange mit grauenvollen Krawatten, und seine Mitstreiter gehen in Lederjacken und Jeans, die nicht einmal richtig verwaschen sind. Die Innendekors stürzen noch den muntersten Possenreißer in unheilbare Betrübnis, und die Außenaufnahmen zeigen das Schlimmste, was Bayern zu bieten hat (dabei gäbe es dort wahrhaftig Besseres zu sehen).
Man könnte nun meinen, zumindest das detektivische Grundmuster der Geschichten sei originell und Derrick erobere sein Publikum durch Proben von außergewöhnlicher Intelligenz. Doch das Grundmuster hat, im Verhältnis zu den Detektivgeschichten von einst, nur eine sehr abgestandene Neuheit, die schon weidlich von der Columbo-Serie ausgeschlachtet worden ist: Das Publikum weiß sofort, wer der Täter ist und wie er die Tat begangen hat. Der Reiz besteht darin, zu sehen, wie der Polizist, der es nicht weiß, den Täter errät und ihn anhand sehr spärlicher Indizien dazu bringt, sich zu verraten. Aber Columbo (der übrigens nicht schlechter als Derrick gekleidet ist, denn er pflegt einen Schlabberlook avant la lettre) bewegt sich mit seinen proletarischen Manieren in einer Welt schöner, reicher und mächtiger Kalifornier, die ihn wie einen Fußabtreter behandeln (wozu er sie ermuntert), in der Gewißheit, daß es diesem schäbigen Nachkommen zwielichtiger Immigranten nicht gelingen wird, ihre Deckung zu durchbrechen und die Barriere ihrer glänzenden Arroganz einzureißen. Columbo, der es versteht, scharfsinnige Bemerkungen über das zu machen, was für die anderen marginal ist, treibt sie mit psychologischen Tricks von perfider Raffiniertheit in die Enge und bringt sie schließlich zu Fall, indem er gerade ihren Dünkel ausnützt. Die Zuschauer genießen diesen Sieg des Pygmäen über die Elefanten und gehen zu Bett mit dem schönen Gefühl, daß einer, der genauso bescheiden und ehrlich wie sie ist, sie gerächt hat, indem er widerlich reiche, schöne und mächtige Leute bestraft. Nicht so Derrick. Er hat es fast immer mit Leuten zu tun, die niedriger stehen und schlechter gekleidet sind als er, dazu noch psychisch labil und eingeschüchtert durch einen Vertreter des Gesetzes, wie es bei jedem guten Deutschen vorkommt. Seine Schuldigen sehen so unverschämt schuldig aus, daß sie gewöhnlich sogar von Harry erkannt werden (der offensichtlich ohne vorgängigen Intelligenztest in die bayerische Polizei aufgenommen worden ist), sie brechen fast sofort zusammen, es scheint, als ob sie geradezu danach lechzten. Wie kommt es dann, daß Derrick so gut gefällt?
In einem kürzlich erschienenen Sammelband mit dem Titel "Die Leidenschaften im TV-Serial" sind die in den Serien Beautiful, Twin Peaks und eben Derrick verwendeten "Leidenschafts-Strategien" untersucht worden. Ich kann die Analyse des Derrick-Teils hier nicht im einzelnen wiedergeben, sie füllt etwa dreißig Seiten, aber sicher ist, daß sie Antworten auf die oben gestellten Fragen gibt. Für die einzelnen Folgen werden nie außergewöhnliche Fälle gewählt, sondern Vorkommnisse von der Art, wie sie auch im Lokalteil der Zeitungen stehen und jedem von uns passieren könnten. Deswegen ist es von grundlegender Bedeutung, daß weder strahlende Helden noch Erzbösewichter in ihnen auftreten. Sowohl der Gesetzesbrecher wie der Gesetzesvertreter sind stets von gegensätzlichen Leidenschaften zerrissen, von Verlangen nach Gerechtigkeit und nach persönlicher Rache, von Schuldgefühl und verständlicher Schwäche. Die Schauplätze dürfen nicht zu leicht wiedererkennbar sein, damit möglichst viele Zuschauer sich darin wie zu Hause fühlen können. Hinzu kommt ein Element, das ich zunächst gar nicht bemerkt hatte: Wie es scheint, benutzen die Personen in jeder neuen F