Es ist das letzte Mal, dass sie einen Fuß in die Redaktion setzt, nur weiß sie das noch nicht. Den Tumult erkennt sie schon von weitem wieder. Die Telefone, die einfach nicht aufhören zu läuten. Der dichte Qualm. Alle sind da und harren aus, knurren, keuchen wie an einer Felswand - und das ist wirklich ein Höllenspektakel. Die Eigentümer wollen die Zeitung schließen, aber die Mitarbeiter bestehen darauf, sie auch weiterhin erscheinen zu lassen. Sie möchte sich einbringen und auch das Gefühl haben, dass ihr das was bringt. Hat eine Abendzeitung ausgedient? Egal. Es ist auch egal, dass sich niemand bei ihr bedankt, Gott bewahre! Ihr genügt der erstaunte Blick eines Kollegen, dass sie hier überhaupt auftaucht.
"Luciana", sagt er. "Was machst du denn hier?"
"Wir haben denselben Beruf oder etwa nicht?", erwidert sie und geht zum Schreibtisch. Die Redaktion ist auf ein Minimum reduziert. Jeder fährt Doppelschichten, schreibt vier Texte, zwei davon unter eigenem Namen, aber die Mehrarbeit ist nicht schlimm. Es herrscht ein ungewöhnlicher Elan, eine Energie, die die Augen der Altgedienten aufleuchten lässt. Die können ihre Kaffees und Zigaretten schon längst nicht mehr zählen. Genau die Atmosphäre, von der sie als junges Mädchen geträumt hat.
Eine ältere Boulevardredakteurin, die an Luciana vorbeigeht, entschuldigt sich: "Ich mach sie gleich aus."
"Keine Sorge." Luciana lächelt.
"Bist du sicher, dass es dir gut tut, hier zu sein, in diesem Chaos, in dieser schlechten Luft? Vielleicht solltest du lieber zuhause bleiben."
Sie hebt an wie eine Freundin, wie eine ältere Schwester, um dann den vorwurfsvollen Ton einer Mutter anzuschlagen. "Du willst doch nicht selbst irgendwann als tragischer Fall in der Rubrik Vermischtes landen?
Ist ja gut, denkt Luciana, ist ja gut, ihr habt ja recht.
Sie hätte sich schon längst umorientieren sollen, hat es aber noch hinausgezögert. Sie hätte sich nach drei, vier Monaten darauf umorientieren sollen, als der Körper ihr Signale sendete, die sie ignorierte. Sie hätte sich damit abfinden sollen, wie es so schön heißt, ja wie es von allen Seiten hieß, doch stattdessen tat sie so, als wenn nichts wäre. So als wären die Zahnfleischentzündungen und das Sodbrennen keine eindeutigen Hinweise.
Sie hätte ihre Ernährung umstellen sollen, so wie es ihr der Frauenarzt geraten hat, etwas gegen die nächtlichen Krämpfe einnehmen sollen statt so dumm zu sein, in den Kissenbezug zu beißen und sie einfach zu ertragen. Sie hätte das Herzklopfen nicht ignorieren, diese totale Verselbstständigung nicht ignorieren sollen - die wuchernde Haarpracht und die überzähligen Kilos. Auch nicht die Gelüste, die gar nicht mal seltsam sind, sondern ganz normal. Sie hat versucht, sich abzulenken. Jetzt wacht sie auf und fühlt sich wie in der Falle. Träge. Müde. Aufgedunsen.
Alle Sätze in ihrem Kopf beginnen mit Du bist nicht: Du bist nicht die junge Frau, die mit halb geschlossenen Lidern vor dem Friseursalon steht und genüsslich raucht. Du bist nicht die Touristin, die staunend umherflaniert. Du bist nicht mehr dieselbe wie vorher.
Wenn Luciana abends an der Piazza Trilussa vorbeikommt und den üblichen Cliquen Jugendlicher, Zwanzigjähriger begegnet, die dort auf den Stufen hocken und Bier trinken, hat sie das Gefühl, eine Ausgestoßene zu sein, so als hätte man ihr einen Platzverweis erteilt, sie ins Exil geschickt. Ein bestimmtes Lebensgefühl, so etwas wie das Wittern von Frühlingsluft, ja Unbeschwertheit kann sie sich nicht mehr leisten.
Deswegen würde sie am liebsten laut schreien so wie mit fünfzehn, als sie mit ihrer Mutter stritt, um ihr zu beweisen, dass sie keine Angst mehr vor ihr hat - weder vor ihr noch vor sonst irgendwas. Und dass sie sich nicht von ihrer Revoluzzervergangenheit blenden lässt.
"Mein Leben gehört miiiiiir", schrie sie damals und knallte mit allen zur Verfügung stehenden Türen, gern auch mehrmals mit derselben. "Mein Leben gehört miiiir", wiederholte sie mit einer Wut, die sich von Minute zu Minute zu blindem Hass zu steigern schien - ein Ausmaß an Aggression, das sie sich gar nicht zugetraut hätte. Nachdem sie eine halbe Stunde lang geweint und dabei fast keine Luft mehr bekommen hatte, beruhigte sie sich wieder.
Dieser Satz, der damals dumm war, ist heute einfach bloß falsch. Einfach bloß das Gegenteil von dem, was ist. Der gesunde Menschenverstand, an den sie sich laut ungebetenen Ratschlägen hätte halten sollen, hilft ihr jetzt auch nicht weiter. Genauso schwer tut sie sich, mit dem Bewohner ihres Bauchs zu sprechen, der inzwischen mit offenen Ohren und Augen in siebenhundert Milliliter Fruchtwasser schwimmt. Sie weiß nicht recht, was sie ihm sagen soll.