Vorwort
Einleitung
Onkel Fritz
Samosch Sämtliche Bücher
Buchhandlung N. Samosch im 19. Jahrhundert
Fritz, Walter und Hans - die dritte Generation
Kindheit und Jugend
Zwischen Wien und Breslau
Wege als Buchhändler
Shoah und Krieg
Entrechtung
Verfolgung
Keine Stunde Null
Briefe 1956 - 1965
Nach dem Krieg
Nachwort
Danksagung
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Der Autor
Impressum
Wenn man als Kind in eine Familie hineingeboren wird, nimmt man erst einmal alles als selbstverständlich und gegeben hin. Dann, während des Prozesses des Heranwachsens, beginnt man von sich auf andere zu schließen und stellt im günstigsten Fall ziemlich schnell fest, dass diese Vorgehensweise immer zum Irrtum führt.
Dass meine Familie irgendwie anders war, habe ich während meiner Grundschulzeit im West-Berlin der 60er-Jahre schnell festgestellt. Wer nämlich damals seine Tanten und Onkel selten sah, hatte Verwandte »drüben«, oder die Eltern scheuten das stundenlange Warten an den Grenzkontrollpunkten nach Westdeutschland.
Keiner meiner Mitschüler hatte allerdings - so wie ich - Verwandte in New York, Paris, Mailand und den Niederlanden. Von denen hatten sich die einen in den Staaten überhaupt erst kennengelernt, die anderen waren nach einer überstürzten Eheschließung aus dem zerbombten Berlin nach Frankreich geflohen, nach dem Krieg emigriert oder noch während der Zeit des NS-Regimes auf der Flucht durch Europa irgendwo gestrandet.
»Halbjüdisch« hatte man die Rassekategorie genannt, die die Nazis für meinen Vater und seine Schwestern erfunden hatten. Das bedeutete für ihn und seine Geschwister die Unmöglichkeit, ein Abitur oder ein Studium zu absolvieren oder einen sogenannten »Arier« oder eine »Arierin« zu heiraten. Im Berlin des NS-Regimes hieß das auch, beständig Angst zu haben, doch noch deportiert zu werden oder wegen geringster Vergehen Unglück auch über alle anderen zu bringen. Dass ich also eigentlich auch viele jüdische Verwandte hatte, wusste ich damals nicht mit Gewissheit, aber so in etwa. Mein Vater hatte mir von der Familie nur im Allgemeinen erzählt.
Mit dem Wort »Krieg« verband ich deshalb auch schon früh Geschichten: Mein Vater erzählte von auf der Flucht erschossenen Freunden, von Hunger, Angst und Versteck. Vieles wurde nur angedeutet, rutschte ihm eher heraus, als dass er es wirklich beschrieb. Schon als Kind wusste ich um die Lücken im Hinblick auf meine Informationen. Als ich mich dann später als Jugendlicher dazu entschloss, Journalist zu werden, ist mir diese Erkenntnis geblieben. Sie begleitet mich bis heute. Das vorliegende Buch ist das Produkt jahrzehntelanger Recherchen, und dennoch blieb vieles offen. Es waren wirre Zeiten.
Fritz Heinrich Samosch, Cousin meines Vaters, einziges Kind der einzigen Schwester meines Großvaters, lernte ich nur einmal persönlich kennen. Die Familie feierte gerade die Hochzeit einer Cousine. Man hatte alle aus ganz Europa in ein Landstädtchen in Holland eingeladen. Die Sonne schien, man saß auf den üblichen Gartenklappstühlen der 70er-Jahre zusammen, aß, trank und unterhielt sich. Ich selbst war damals 16 Jahre alt und hatte natürlich auch schon von Onkel Fritz gehört. Er war 25 Jahre älter als mein Vater. Den damals 74-Jährigen erlebte ich als zierlichen, gepflegten, grauhaarigen Mann.