Polarisierungen
Und nun noch ein mathematischer Rat für Eheleute: Schützen Sie sich vor Polarisierungen! Ich weiß, dass das ein wenig nach
dem Schicksal einer Autobatterie klingt, aber glauben Sie mir: Es kann auch Ihnen blühen. Vielleicht erscheint Ihnen die folgende Geschichte irgendwie vertraut: Jennifer will einen Haufen Geld für den Garten ausgeben, aber ihr treuer Gatte Brad hält das für Verschwendung und will lieber den Weinvorrat ergänzen. Die beiden sind auch politisch nicht einer Meinung, deshalb geraten sie vor jeder Wahl in einen heißen Streit. Und am Ende jeder Mülldiskussion bringt immer Brad den Müll hinaus, und nie Jennifer. Immer wenn Menschen krass gegensätzliche Standpunkte haben oder sich völlig verschieden verhalten, spricht man von Polarisierung.
Man könnte einwenden, Polarisierungen seien einfach Teil des Menschen, und es wäre daher dumm zu erwarten, dass wir jedem Unsinn zustimmen, den der andere von sich gibt. Adam Kalai von der Carnegie Mellon University und Ehud Kalai von der Northwestern University geben uns auf acht Seiten Mathematik eine erstaunliche Erklärung für das Entstehen und Vergehen von Polarisierungen.7 Um dem auf den Grund zu gehen, wollen wir zu unserem Musterpaar zurückkehren, zu Betsy und Bart. Beide spenden jedes Jahr an wohltätige Einrichtungen, aber Betsy ist ein wenig großzügiger als Bart und würde gern 10 Prozent von allen Einnahmen abgeben, während es Bart bei 8 Prozent belassen will. Weil sie ein perfektes Paar sind, besprechen sie das Problem eines Abends beim Essen und einigen sich auf einen Kompromiss: Betsy darf 5 Prozent vom Gesamteinkommen spenden, Bart gesteht sich 4 zu. Insgesamt werden es dann am Ende des Jahres 9 Prozent sein. Leben sie nun glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage?
Nicht unbedingt. Wahrscheinlich wird es ganz anders ausgehen: Bart will wirklich nicht dieses eine zusätzliche Prozent weggeben. Er beschließt also, im nächsten Jahr ein bisschen weniger als die 4 Prozent zu spenden und denkt dabei, dass er damit Betsys Verschwendung ausgleichen wird. Im Großen und Ganzen gesehen würde das keinen Unterschied machen. Umgekehrt beschließt Betsy, ein wenig mehr zu geben als die 5 Prozent. Sie begründet ihre Entscheidung auf die gleiche Weise wie Bart: Sie will den Geiz ihres Partners ausgleichen. Im darauf folgenden Jahr wiederholt sich das Spiel: Bart gibt ein bisschen weniger, Betsy ein bisschen mehr als im Vorjahr. Jeder der beiden will damit den vermeintlichen Fehler gutmachen, den der andere begeht. Kaum sind ein paar Jahre vergangen, da gibt Bart überhaupt nichts mehr, während Betsy die vollen 10 Prozent abzweigt! Toll! Nun ist das Verhältnis der beiden polarisiert und alle Voraussetzungen
für einen Riesenkrach sind gegeben. Und das, wo Betsy und Bart mit ziemlich ähnlichen Ansichten über mildtätige Spenden an den Start gegangen sind. Wenn es in einer Beziehung zu mehreren solchen Konflikten kommt, wird sie bald in einem ganz üblen Zustand sein. Nun spendet man nicht jeden Tag Geld, aber es gibt viele andere Situationen, die Tag für Tag Thema sind. Denken Sie zum Beispiel an die Sauberkeit im Bad. Läuft es nicht immer darauf hinaus, dass das Putzteufelchen letzten Endes für beide putzt? Denken Sie an die Erziehung der Kinder! Wird nicht einer der Eltern am Ende in die Rolle des Tyrannen gezwängt, während der andere den Gütigen und Nachgiebigen spielt? Wie kann es so weit kommen, dass die Partner auf einer Vielzahl von Gebieten meilenweit auseinander liegen, obwohl sich ihre Ansichten eigentlich kaum unterscheiden?
An diesem Punkt angekommen, schlägt die Stunde der Mathematik. Wie wenig ist >kaum<? Und was bedeutet >Übereinstimmung<? Vielleicht sind sich beide einig, dass man das Bad noch nicht putzen muss, solange in der Dusche kein Schimmel wächst und der Spiegel frei von Zahnpasta ist. Wenn sich nun einer der Partner entscheidet, die Fächer im Kosmetikschrank vom Staub zu befreien, dann ist das eine nette Zugabe, trägt aber nicht allzu viel dazu bei, wie zufrieden man mit der Putzerei insgesamt ist. Mathematiker sind über solchen Kleinkram erhaben. Sie können mithilfe einer Formel, die man Nützlichkeitsformel nennt, herausfinden, welche Bedeutung die eine oder andere Handlung für die Beteiligten hat. Zum Beispiel kann man mit einer solchen Formel den Wert von Einzelhandlungen aufsummieren, in die man eine Aufgabe teilt. Das kann so aussehen:
Dusche putzen + Spiegel wischen + Kosmetikschrank entstauben = Bad ist sauber.
Dabei mag >Dusche putzen< einen Bonus zwischen 0 und 10 bekommen, >Spiegel wischen< zwischen 0 und 5 und die Entstaubung nur zwischen 0 und 1. Die Dusche ist das Wichtigste, wenn es um die Sauberkeit im Bad geht, deshalb kann man mehr punkten, wenn man sie putzt.
Das ist nur ein Beispiel, man kann in der Nützlichkeitsformel auch die Punktzahl der Einzelaufgaben davon abhängig machen, wie und wann sie das letzte Mal erledigt worden sind.[...]