Prolog
Der Herbst zeigt sein klassisches Antlitz an diesem ausklingenden Tag. Diesem Tag, den er in einem verschlossenen Raum verbracht hatte. Mit einem Sack überm Kopf. Verschnürt wie ein Paket, gewappnet, verschickt zu werden.
Wohin soll es gehen? Die Hoffnung sagt: »Nach Hause«. Der Verstand parliert: »Nirgendwo hin. Das war´s.«
Ihr Hochmut war längst in Bosheit umgeschlagen. Grob zerren sie ihn raus, verstauen ihn im Wagen, befreien ihn aus der Dunkelheit, indem sie ihm den Sack vom Kopf reißen. Das Paket bekommt Augen. Darf sehen, wohin die letzte Reise geht. Warum sich wehren? Es ist vollbracht. Er ahnte längst, was sie vorhatten.
Der Abend breitet sich diesig zwischen dunklen Baumkonturen aus. Schwankender Boden im Scheinwerferlicht. Beruhigende Eintönigkeit. Vielleicht wird ja doch alles gut. Wenigstens werden sie die verschonen, die er liebt. Das Fahrzeug steht.
»Komm raus. Los!« Nicht nötig und völlig schwachsinnig diese Aufforderung. Er wird gezogen, bis er unten liegt. Dann das Wunder, das zum Urteil wird, jetzt, da er begreift.
Warum werden die Fesseln zerschnitten? - Klar, ich soll mich frei bewegen, vor der Vollstreckung. Gedanken jagen durch seinen Kopf. Erschießen? Geht es schnell?
»Los Mann, vorwärts!«
»Und wenn nicht?«
Der Lauf einer Pistole bohrt sich gegen die Schläfe. »Wenn nicht, gibt´s nicht«. Ein hässliches, gekünsteltes Lachen. »Mit so einem Luxus können wir leider nicht dienen.«
Weiter über die regelmäßige Unebenheit des Bodens. Vorbei an der Finsternis des Waldes.
»Hier ist es! Los, rüber mit ihm.«
Die Unebenheit verliert ihre Regelmäßigkeit. Er stolpert mehrmals, aber sie halten ihn.
Mir soll nichts passieren. Ich könnte ja fallen. Wie pervers ihre Gedanken sind.
Der Boden unter ihm wird ebener. Sie bleiben stehen. Der Lichtkegel einer Taschenlampe beleuchtet etwas. Ein Tor! Groß und starr bäumt es sich vor ihm auf.
»Hast du den Schlüssel?«
Was für eine banale, alltägliche Frage. Beinah geeignet, neuen Mut zu schöpfen. Menschen, die so etwas fragen, können doch nicht schlecht sein.
Der Schlüssel passt ins Schloss. Das Tor wird geöffnet. Die Schwärze riecht nach Ungnade.
Was ist das hier? Ein verlassener Stollen? Eine Höhle? Die Sackgasse zur Unterwelt? Das Licht der Taschenlampe erhellt die Ungewissheit. Durch das Geäst der Bäume erblickt er das alte, verfallene Wohnhaus. Sein letzter Gang wird der in einen längst vergessenen Gewölbekeller sein.
»Los, geh schon! Meinst du, uns fällt das leicht?«
Meter für Meter voran. Viel Braun und Grau. Wasserpfützen, die quatschen und spritzen, wenn man hineintritt.
»Halt, hier ist es gut. Los, runter mit ihm.«
Die Wand sieht hier anders aus. Ein Eisengerüst ist in das Grau eingearbeitet. Die Pistole befiehlt ihm, sich hinzukauern. Er gehorcht. Eine Hand zwingt ihn runter auf den Boden. Feucht ist es. Er spürt die nasse Kälte an den Händen. Sie dringt durch seine Hose. Eine Flasche wird ihm vors Gesicht gehalten.
»Trink das gefälligst aus«. Er hat jetzt die Öffnung der Flasche zwischen den Lippen. »Auf ex. runter damit! Wir wollen es dir nur etwas leichter machen.«
Die Pistole ignorieren. Sollen sie mich doch erschießen. Schnell, kompromisslos und . unmöglich bei dem bröckligen Gestein. Viel zu gefährlich für sie.
Hoffnungsvolle Gedanken, nichts anderes als das Aufflackern einer Kerze, bevor sie erlischt. Eine Hand krallt sich in seine Haare, zieht den Kopf nach hinten. Der Lauf der Pistole droht in seine Stirn einzudringen.
»Los Mann, schluck den Scheiß endlich!« Er will es sofort wieder ausspucken, wird aber von zwei kräftigen Händen gehalten. Die Flüssigkeit aus der Flasche schmeckt fast wie normaler Orangensaft. Wäre da nicht dieser eigenartige, undefinierbare Beigeschmack.
»Wir haben O-Saft genommen. Dann wirkt es schneller.«
»Was ist das?«
»Keine Sorge, das wirst du gleich merken«. Sie hocken neben ihm und blicken ihn an. Wie mitfühlende Retter, die gleich sagen werden: Ab ins Krankenhaus mit dir. Schläfrig wird er. Sie glotzen lange. Einer sagt irgendwann: »Lass uns abhauen. Das war`s. Der hat`s gleich hinter sich.«
Benommen versucht er aufzustehen. Aber sein Körper gehorcht ihm nicht mehr. Das Licht der Taschenlampe wird immer schwächer. Ihre Gesichter. Lächelt das eine? Nur noch ein Schattengruß. Er bekommt noch mit, wie sie gehen. Ihm ist alles so egal. Ist die völlige Dunkelheit um ihn herum Realität oder ist er etwa schon tot? Nein, Schmerzen hat er nicht. Er spürt überhaupt nichts mehr. Seine bleiernen Gedanken reagieren kaum noch.
Eine hohle, gewaltige Stimme dringt wie unter Wasser an sein Ohr: »Es muss einfach sein. Ich muss es tun, weißt du!« Seine schlaffen Arme werden gehoben. Sie müssen ihm gehören. Wem sonst? Er weiß es, obwohl er sie nicht mehr spürt. Handgelenke bekommen Fesseln. Schon wieder und immer noch. Die Zeit kann weg, wird nicht mehr gebraucht. Die Ewigkeit tritt an ihre Stelle.