Die Texte in "So macht die Sonne die Nacht" hat Bárbara Belloc im engen Austausch speziell für diesen Band zusammengestellt. Seit meinen ersten Begegnungen mit Bellocs Lyrik, bereits Anfang der 2000er, fasziniert mich die emotionale Wucht ihrer Texte. Sie sind sehr sinnlich und unmittelbar, in ihrer Bildhaftigkeit fast greifbar. Gerüche spielen eine Rolle, das Gefühl von Haut, Pflanzen, Substanzen wird lebendig. Zuvorderst aber der Klang, immer der Klang, der auch ihrem zuletzt erschienenen Gedichtband auf Spanisch, El sonido, aus dem etliche der Texte in diesem Band stammen, den Titel gegeben hat.
Das feine Ohr für den Klang geht auf den Einfluss ihres Vaters zurück, des argentinischen Avantgarde-Komponisten Enrique Belloc, dem Bárbara wie auch ihrer Mutter, der Pianistin Elcira Belloc, ein literarisches Denkmal gesetzt hat mit dem 2023 erschienenen poetischen Kurzroman La locura es un bien de familia, in dem es um den Abschied von ihrem Vater und den Umgang mit der an Demenz erkrankten Mutter geht. Auch hier in diesem Band zeigt sich der Vater kurz, tritt mit zitternden Händen ans Klavier.
Bárbara zittern beim Schreiben offensichtlich nicht die Hände. Vielleicht mit der locura, der künstlerischen Freiheit und Verrücktheit der Familie, im Rücken, fehlt es ihr nicht an Wagemut, sie erlaubt sich tief einzutauchen in assoziative eigene Welten, ob nun Phantasie oder Vision, in freien Versen oder onirischer Prosa, in Gestalt von Anrufungen oder Beschwörungen. Fängt den Gesang ein, den niemand hört, den aber Jahrhunderte später, aufmerksam lauschend, blinde Schreiber aufschreiben werden.
Auffällig sind wiederkehrende archaische Themen, explizite und latente Gewalt, die von Macht in einer männerdominierten Welt erzählen; die Impressionen aus dem Soldaten- oder Kriegerleben haben heute eine bedrückende Aktualität. Die alte Verletzlichkeit der Frau klingt an, doch die Verse selbst sind voll urtümlicher Kraft, gestehen sich ihr eigenes Leben zu, wagen eine ganz eigene Welt danebenzustellen. Diese schöpferische Vitalität zeichnet Bárbara Bellocs Gedichte aus und macht sie für mich zu einer der spannendsten Stimmen der argentinischen Gegenwartslyrik. (Silke Kleemann)
Bárbara Belloc, 1968 in Buenos Aires, Argentinien, geboren, ist Dichterin, Schriftstellerin, Herausgeberin und literarische Übersetzerin. Im Sommer/Herbst 2025 ist sie Stipendiatin der Villa Waldberta am Starnberger See.